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Kräuterkunde

Kräuterkunde

Titel: Kräuterkunde
Autoren: Wolf-Dieter Storl
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erhöhen diese chemisch aktiven Stoffe die Überlebenschancen der Pflanze und werden in der natürlichen Auslese positiv selektiert. Im Reagenzglas aber lassen sich reinere, verbesserte Spielarten dieser biologisch wirksamen Stoffe herstellen und als Pillen oder Spritzen problemloser administrieren als Kräuterpräparate.
    All das habe auch ich in der Schule gelernt. Und dennoch ist der Einwand meines Freundes fadenscheinig. Bei näherem Betrachten entpuppt er sich nämlich als ein vorwiegend ideologisches Argument. Es entspringt jener materialistisch-reduktionistischen Betrachtungsweise, der sich die westliche Zivilisation vollends verschrieben hat, und es spiegelt die kommerziellen Interessen einer Pharmaindustrie wider, die jährlich mehrere hundert Milliarden Dollar umsetzt.
    Es gibt auch andere Betrachtungsweisen. Etwa die von James Lovelock formulierte
Gaia-Hypothese
. Diese besagt, daß sich die Erde wie ein lebendiger, sich selbst regulierender, intelligenter Organismus verhält. Erdboden, Atmosphäre, Meere, Pflanzen- und Tierarten und der Mensch bilden sozusagen die Organe dieses Lebewesens, dieser Erd- und Lebensgöttin Gaia. Die Pflanzen nehmen Energie von der Sonne auf und geben sie an die anderen Organe weiter, die Atmosphäre dient als Thermostat, die Tiere verkörpern das Seelenleben Gaias und die Menschen das reflektierende Bewußtsein. Wie in jedem Lebewesen befinden sich die einzelnen Organe und Systeme in einem harmonischen Miteinander. Gesundheit besteht in dem fließenden Gleichgewicht aller Teile. Und genau wie unser Organismus mit Hormonausschüttungen und Stoffwechselveränderungen auf Disharmonien reagiert, reagiert auch Gaia. Wenn Menschen oder Tiere erkranken, wenn ihre Hirnströme disharmonische Signale senden und ihr Verhalten destruktiv wird, stellt ihnen Gaia die Heilpflanzen zur Verfügung. Konventionelle Wissenschaftler tun sich schwer zu erklären, welchen Nutzen Alkaloide und andere komplexe Pflanzenprodukte für die jeweilige Pflanze haben. Oft haben sie anscheinend gar keinen. Wenn wir aber akzeptieren können, daß die Pflanze solche Stoffe ebensowenig für sich selbst produziert wie die Bauchspeicheldrüse das Insulin, kommen wir einem Verständnis näher. Diese pflanzlichen Stoffwechselprodukte üben eine starke und deutliche Wirkung auf die Physiologie von Mensch und Tier aus. Diese Stoffe finden Eingang in den ökologischen Kreislauf, und sie erreichen auch uns, indem sie zu Heilmitteln für unseren Körper und unsere Psyche werden. So wahrt Gaia die universelle Harmonie. (
Hoffmann 1985:19
) Daß in den letzten Jahren viele Menschen mit psychoaktiven Pflanzenstoffen ihr Bewußtsein verändern (auch das gehört zum viel beschworenen Paradigmenwechsel), könnte als der Versuch Gaias verstanden werden, ein neues Gleichgewicht herzustellen. Der Versuch, die »Harmonie unter dem Himmel« zu erhalten, ist übrigens auch die Grundlage der chinesischen Heilkunde. Nicht etwa aus Mitleid wird der Kranke behandelt, sondern weil sein Kranksein ein Störfaktor ist.
    Auch die traditionellen Völker, die Indianer, die Tibeter und andere, mit denen ich als Ethnologe zu tun hatte, sehen die Dinge anders. Für sie sind Pflanzen keine seelenlosen, protoplasmischen Gebilde, die zufällig Alkaloide, Glykoside, Polyphenole und andere Stoffe als Abfallprodukte des Stoffwechsels anhäufen, sondern Lebewesen, die auch trans-sinnliche Aspekte aufweisen. Es ist ein »grünes Volk«, das sich wahrnehmend und intelligent verhält und dessen Angehörige der berufene Schamane als Freunde ansprechen und beim Heilen als Verbündete anrufen kann. Pflanzen verdanken ihre Kraft den durch sie oder in ihnen wirkenden Göttern, Devas oder Engeln. Mit diesen Wesen kann der Mensch in der Tiefenmeditation, im Traum, in der Ekstase oder im Rahmen eines überlieferten Rituals kommunizieren – Aspekte, denen wir in späteren Kapiteln dieses Buches nachgehen wollen. Komplementär zu dieser Anschauung sind ätiologische Modelle, die Krankheit nicht nur als eine Betriebspanne, als Fehlfunktion eines bio-kybernetischen Mechanismus auffassen, sondern als ein geistig/seelisches Geschehen, als Einfluß dämonischer Entitäten, als Seelenverlust, Disharmonie, karmischer Ausgleich und dergleichen. Mein Freund der Internist würde solche ethnologisch vielfach bezeugten Gesichtspunkte als »Spinnerei« oder längst überwundenen Aberglauben abtun. Einer um Sachlichkeit bemühten, ganzheitlich orientierten Heilkunde jedoch
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