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Kräuterkunde

Kräuterkunde

Titel: Kräuterkunde
Autoren: Wolf-Dieter Storl
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nicht nur an ihrem akademischen Ego gerüttelt, sondern auch unabsichtlich an dem gegenwärtig akzeptierten, gesellschaftlich positiv sanktionierten Wirklichkeitsparadigma. Aber das ist nichts Ungewöhnliches; als Völkerkundler geht man oft über die Grenzen des gesellschaftlich akzeptierten kulturellen Konstruktes hinaus und hat dann Probleme verstanden zu werden.
    Auf derartige Schwierigkeiten stößt man häufig bei der Vermittlung von Kräuterkunde. Diese Kunde erschöpft sich nicht allein in der botanischen Beschreibung der Pflanzen und in der Analyse der in ihnen vorhandenen molekularen Wirkstoffkomplexe. Heilpflanzenkunde ist auch und vor allem ein kulturelles Phänomen, und jede Kultur besitzt ihr eigenes Paradigma, was Pflanzen, Gesundheit, Krankheit oder Heilung betrifft. Und der Kulturwissenschaftler kann nicht sagen, das eine Bild oder Paradigma sei falsch, das andere richtig. Ebenso wenig kann man behaupten, eine Sprache sei richtig und eine andere falsch.
    Kräuterheilkunde ist uralt. Ihre Anfänge verlieren sich in den Nebeln der Altsteinzeit. Ausgrabungen und Pollenanalysen des Bodens unter bestatteten Neandertalern im irakischen Kurdistan deuten an, daß diese Steinzeitmenschen schon vor rund 60.000 Jahren mit Heilpflanzen hantierten. Mit anderen Worten: Die Bilder, die Imaginationen, Intuitionen, Methoden und Einsichten, mit denen die Pflanzenheilkunde arbeitet, sind älter als unsere neuzeitige, so genannte objektive Wissenschaftsmethode. Diese ist reduktionistisch, denn sie schließt die visionäre Schau, Empfindungen und Resonanzen, die schamanische Reise in die Tiefe der Seele und der Natur und die mystischen Bilder, mit der die Kundigen das Geschaute und Erfahrene beschreiben, kategorisch aus. Die Heilpflanzenkunde lässt sich aber nicht auf diese Weise reduzieren. Götter und Geistwesen gehören dazu: In Stammesgesellschaften fragt man immer noch, welcher Geist sich in der Pflanze offenbart. Im Mittelalter forschte man nach, welcher Heilige sich in dem Heilkraut kundtue. Oft war es das Leiden, von dem der Heilige selber befallen war, das dieser dann auch heilen konnte. In jeder Kultur sind Kräuterkundige im Besitz einer eigenen Sprache, eines eigenen Symbolsystems, das sich nicht auf unsere kulturgebundene Wissenschaftsmethode reduzieren lässt und dennoch eine effektive Heilkunde darstellt.
    Ich glaube, heutzutage hätte das Sachverständigen-Komitee weniger Bedenken, was das Buch angeht. Denn inzwischen weiß man mehr über Pflanzen, über ihre Verbundenheit mit kosmischen Rhythmen und über ihre ökologische Sensibilität; man weiß mehr über ihre feinstoffliehen Wirkungen und ihre subtile Interaktion mit menschlichen und tierischen Organismen. Auch das echte Schamanenturn wird nicht mehr als überwundener primitiver Aberglaube abgewertet, sondern als Möglichkeit geschätzt, tieferes Verständnis unserer Welt zu erlangen.
    Während ich an dem Manuskript arbeitete, lernte ich den Cheyenne Medizinmann Bill Tallbull kennen, von dem ich lernte, mit den Pflanzen, anstatt nur über sie zu reden. In der deutschen Fassung, die ich dann schrieb und die hier im Aurum-Verlag vorliegt, kommt auch die indianische Sicht der Pflanzen und das Wissen des Medizinmanns zur Sprache.
    Heilpflanzenkunde und Ethnobotanik sind ein weites, ja, man kann sagen, nahezu unendliches Feld. Dieses Buch ist kein Nachschlagewerk im Sinne von „Welche Pflanze nehme ich, wenn ich diese oder jene Krankheit habe?“ Solche Ratgeber gibt es zu Genüge. Dieses Buch hat einen anderen Anspruch. Es will helfen, die Tür zum magischen Reich der Kräuterheiler, Kräuterhexen, Pflanzenflüsterer und Wurzelkundigen aufzustoßen.

Vorwort
    Wie kamen die Krankheiten, wie die Heilmittel in die Welt? Die östlichen Waldlandindianer erzählen dazu folgende Geschichte. Einst gab es weder Hunger noch Krankheit. Die Menschen lebten glücklich. Die Tiergeister schenkten den Jägern Wild, und die Frauen sammelten Wildgemüse, Wurzeln, süße Beeren und Nüsse. Aber im Laufe der Zeit wurden die Menschen achtlos und undankbar. Sie jagten mehr, als sie brauchten. Sie schlachteten ganze Herden ab, und die kleinen Tiere, die Käfer und Ameisen, zertrampelten sie rücksichtslos. Auch nahmen sich die Menschen nicht mehr die Zeit, mit den Tieren zu reden oder sie gar freundlich zu grüßen.
    So konnte es nicht mehr weitergehen! Alle Tiere versammelten sich in einer Höhle tief im Berg unter dem Vorsitz des alten Weißen Bären, um zu beratschlagen.
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