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Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)

Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)

Titel: Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)
Autoren: Raik Thorstad , Jannis Plastargias , C. Dewi , Gerry Stratmann
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aus. Er stellte seine Füße in die
Plastikwanne.
    Noah erinnerte sich an die Narbe auf Damians Bein, die er wegen einer Unachtsamkeit bei einer Grillparty davongetragen hatte. Der heiße Grillrost hatte zehn Sekunden gebraucht, um sich in
den Muskel zu brennen, und Damian hatte es erst gemerkt, als ihm der Gestank von verbrannten Haaren in die Nase stieg. Damian hatte kein Temperaturempfinden. Er hatte Restsensibilität,
fühlte Berührungen und Druck, aber er spürte weder Wärme noch Kälte. Noah schon. Und ihm liefen Tränen die Wangen hinab, während das siedende Wasser seine
Füße verbrühte.
    Die Spastik, die der Schmerz auslöste, riss ihm die Kanne aus der Hand. Der Aufprall auf dem Holzboden ließ sie in Splitter zerspringen.
    »Noah?«, kam es alarmiert aus der Küche. Sebastian stand in der Tür, warf einen Blick auf Noah, der mit zuckenden Gliedern auf die Seite gesunken war und sein Gesicht ins
Kissen drückte, um nicht laut aufzuheulen, bevor ihm klar wurde, was die Scherben auf dem Boden und die dampfende grüne Flüssigkeit in der Plastikwanne bedeutete. Er war mit zwei
schnellen Schritten bei Noah, packte seine Beine an den Waden und riss seine Füße aus dem Wasser.
    »Was hast du gemacht?« Sebastians Stimme überschlug sich fast.
    Er erkannte rasch, dass er von Noahs schmerzverzerrtem Gesicht keine Antwort bekommen würde, warf einen gehetzten Blick über die Schulter, entschied sich aber gegen den Stuhl.
Stattdessen wuchtete er Noah von der Couch, hastete mit ihm fluchend durch das Wohnzimmer und fädelte seinen noch immer zuckenden Körper durch den Türrahmen. Er setzte ihn auf den
Wannenlift, riss den Duschschlauch aus seiner Halterung und hielt den kalten Wasserstrahl auf die rot angelaufenen Füße. Mit seinem anderen Arm hielt er Noahs Schulter gepackt,
stabilisierte seinen Sitz, aber Noah war schon gegen die Wand gesunken und presste seine Wange an die kalten Fliesen.
    »Was zum Teufel ist in dich gefahren?«, herrschte Sebastian ihn plötzlich über das Rauschen des Wassers an, die Finger bohrten sich schmerzhaft in seine Schulter.
»Was hast du dir dabei gedacht?!« Sebastian schüttelte ihn wild, damit er ihn ansah.
    Noah hielt seinen Kopf abgewandt, wenigstens seinen Kopf wollte er so bewegen, wie er es für angemessen hielt.
    Die Hand verstärkte ihren Griff noch weiter. »Was, Noah? Was?«, dröhnte Sebastians wütende Stimme an sein Ohr.
    »Du tust mir weh.« Mit einer kläglichen Bewegung versuchte Noah, die Hand wegzuschieben.
    Sebastian verlor jegliche Zurückhaltung. »Denkst du, ich wüsste nicht, was du vorhast? Das kannst du nicht wirklich wollen!« Da war mehr in seiner Stimme als nur Wut.
»Wie soll das gehen? Sag’s mir, Noah, wie?!«
    »Du tust mir weh!«, rief Noah entsetzt.
    Sebastian hielt inne. Einen Moment starrte er ihn an, realisierte, was er getan hatte, die Angst in Noahs Stimme und Haltung über etwas, das weit über seine verlorene Beherrschung
hinausging. Er ließ seine Schulter los, fuhr sich mit der Hand durchs Haar, erschrocken, aber noch immer wütend, seinen eigenen Befürchtungen in Noah jäh
gegenübergestellt.
    Ihre Blicke trafen sich und Noah wünschte sich, er hätte ihn weiter angeschrien, hätte ihn geschlagen, hätte gekämpft. Stattdessen schaltete er das Wasser ab, nahm Noah
hoch, grob, trug ihn ins Schlafzimmer und setzte ihn unsanft auf dem Bett ab, bevor er sich wortlos umdrehte und Richtung Wohnzimmer stapfte. Er kam zurück mit Noahs Rollstuhl, zerrte ihn
durch die Engstelle zwischen Bett und Schrank, riss ihn herum, sodass er parallel zum Bett zu stehen kam. Er machte die Handbremse fest und stürmte wieder aus dem Zimmer hinaus.
    Noah starrte hinter ihm her, lauschte in den Flur, der für einen Moment unheimlich still war. Dann hörte er die quietschenden Scharniere der Dachbodenluke, das Poltern der ausziehbaren
Treppe, die seit Monaten das erste Mal herabgelassen wurde. Sebastians schwere Schritte die Stufen hinauf.
    Noah saß auf dem Bett, lauschte seinem eigenen Atem, Sebastians Schritten auf den Dielen über ihm. Dann hörte er einen Schlag, Metall auf Holz, der ihm zusammenschrecken
ließ.
    »Sebastian?«, rief er leise Richtung Flur, aber er bekam keine Antwort.
    Noah spürte sein Herz rasen, schluckte an dem Kloß in seinem Hals, spürte Angst. Ein weiterer Schlag ließ die Wände erzittern, und Noah griff nach seinem Stuhl, zog
ihn näher ans Bett und setzte mit großer Mühe und unter Schmerzen über.
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