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Konny Reimann

Konny Reimann

Titel: Konny Reimann
Autoren: Tobias Friedrich
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hierher gezogen sind, in Schnappschüssen vor den Augen von Millionen Menschen. Seit unserer Auswanderung von Hamburg nach Texas bin ich vielen Menschen begegnet, viele haben uns besucht. Die meisten meinen, uns zu kennen, was sie in gewisser Weise auch tun, selbst wenn sie uns nur regelmäßig in einem Kasten in ihrem Wohnzimmer sehen. Und dennoch gibt es da noch mehr zu erzählen. Es gibt Geschichten hinter den Geschichten, es gibt Vorleben, vergangene Abenteuer, Anekdoten und Erlebnisse, verwirklichte Träume und kleine Dramen, alles zusammen ein Leben, das in Scheiben geschnitten auch für ein Dutzend Menschen reichen würde. Aber erstaunlicherweise reicht es gerade so eben für meine Familie und mich. Seit langer Zeit schon schnitzen wir die Realität, die wir tagtäglich leben, aus der Vielzahl unserer absurden Ideen. Denn in meinen Kopf passen mehr Träume als in eine große Turnhalle. Keiner dieser Träume bettelt darum, möglichst lange aufgehoben zu werden, keiner ist von vornherein zu krank, um jemals laufen zu können, und bisher ist keiner von ihnen wirklich geplatzt. Wenn mal ein Traum nicht ganz in Erfüllung geht, wird er eben einfach von einem anderen abgelöst.
     
    In diesem Buch werde ich erzählen, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass wir jetzt an diesem wunderbaren See sitzen, inmitten selbstgebauter Häuser, an einem Steg, neben einer Hafenkneipe. Ich werde erzählen, wie ein einfacher Junge aus einer Baracke in der Nähe vom Hamburger Hafen durch aufregende Wirrungen und Wendungen, auf verschlungenen Pfaden und mit einer Menge Spaß hierher finden konnte. Es war ein langer Weg, der aber noch lange nicht zu Ende ist. Dies ist nur eine Zwischenetappe. Wen würde es wundern, wenn ich irgendwann auf einem Surfbrett die Welt umrunde? Mich am allerwenigsten. Aber das ist eine andere Geschichte.

     

     

1. DIE ERSTEN JAHRE
    ellblechbaracken. Das erste Bild meiner Kindheit, an das ich mich erinnern kann, sind Wellblechbaracken. In Hamburg-Harburg standen damals kurz nach dem Krieg diese eilig errichteten Lager für Amerikaner und Engländer, in denen nun, in den fünfziger Jahren, deutsche Familien wohnten, bis ihnen irgendwann Neubauten zugewiesen werden sollten. Ich war ungefähr vier Jahre alt, als sich mir das Bild dieser Kolonie ins Gedächtnis brannte – zweihundert Baracken, Wellblech, so weit das Auge reichte.
     
    Ich wurde geboren, als meine Mutter sechzehn war, der erste männliche „Nachkomme“ seit Generationen, eine kleine Reimann’sche Sensation. Meine Eltern trennten sich, als ich drei war, und ich wohnte fortan bei meiner Mutter. Ein Stiefvater, der vorher zur See gefahren war und dann seiner neuen Familie wegen, uns zuliebe also, dieses Leben aufgab und bei uns blieb, folgte kurz danach. Ich kann nicht sagen, dass wir wohlhabend waren. Ich erinnere mich, dass meine Mutter einmal an Weihnachten einen sehr kleinen Weihnachtsbaum besorgte, ein kleines grünes Kerlchen, das den Namen „Baum in viel zu kleinen Klamotten“ trug. Eines Nachmittags – keine Ahnung mehr, wie es passierte – fiel der Baum von seinem Podest auf den Boden, und einige von seinen spärlichen Zweigen brachen ab. Es war undenkbar, dass meine Mutter einen neuen Baum besorgte, also nahm sie die Zweige und nähte sie mit Nadel und Faden wieder an den ramponierten Rest des Baumes. Wen wundert es da, dass ich schon im zarten Alter von etwa fünf Jahren anfing, Eisenschrott zu sammeln, um ihn für ein bisschen Klingelgeld zum Eisenhändler zu bringen?
     
    Trotzdem war es keine schlechte Zeit. Ich versuchte früh, mein Glück in meine eigenen Hände zu nehmen, mich in der Gegend auszutoben. Ich mochte unsere Umgebung, eine Vergleichsmöglichkeit hatte ich ja nicht. Nach und nach wurden den Familien in unserer Nachbarschaft neue Wohnungen zugewiesen, man konnte das Ausdünnen der Siedlung langsam verfolgen, und ich wartete darauf, dass auch wir umziehen würden. Tatsächlich waren wir aber am Ende die Letzten, die das Barackenfeld verlassen durften.
     
    Wie man unschwer erkennen kann, bin ich ein Original-Hamburger, aufgewachsen in Harburg, mit vier Jahren umgezogen nach Bramfeld, wo ich auch eingeschult wurde. Später wohnten wir in der Nähe vom U-Bahnhof Uhlandstraße, Hamburg-Hohenfelde, direkt um die Ecke vom Kuhmühlenteich. Als Kind, ungefähr sieben oder acht Jahre alt, lief ich oft mit meinem jüngeren Bruder und manchmal auch mit meiner noch jüngeren Schwester an der Alster entlang zur Elbe.
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