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Konny Reimann

Konny Reimann

Titel: Konny Reimann
Autoren: Tobias Friedrich
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mir erlaubt, die Lehrerin zu maßregeln, und derlei Kritik war nicht erwünscht. Mir war’s egal. Die Situation war geklärt, und ich hatte mich nicht versteckt.
     
    Neben meiner Mutter kümmerte sich vor allem meine Oma viel um mich. Ich habe kaum eine Erinnerung an sie, aber meine Mutter sagte mir einmal, dass meine Großmutter mich im Grunde etwas verzogen hätte. Ich bekam, was ich wollte. Während meine Mutter und auch später mein Stiefvater zu Hause eine – nennen wir es mal vorsichtig „recht robuste“ Gangart an den Tag legten, versuchte sie, es mir immer recht zu machen. Dementsprechend gut kamen wir miteinander aus. Es war allerdings kein Wunder, dass die alte Dame auf Harmonie aus war: Meine Oma war im Krieg mehr als ein Mal ausgebombt worden. Das erste Mal, als Bomben auf ihr Haus fielen, war sie im Keller, wie man es den Menschen damals beigebracht hatte. Die oberen Etagen wurden schwer getroffen, das Fundament knickte ein, als wäre es aus Salzstangen gebaut, und im Keller stürzten Balken und die Decke auf die Schutzsuchenden ein. Ein paar Meter neben meiner Oma wurde ein Mann derart schwer von einem Eisenträger getroffen, dass er wenig mehr als das angsterfüllte Jammern eines Sterbenden herausbrachte. Er starb vor ihren Augen, sie selbst konnte ihm nicht helfen, war sie doch ebenfalls derart verschüttet und lädiert, dass es ihr unmöglich war, Hilfe zu leisten. Es war schlimm, einen Menschen auf diese Art und Weise sterben zu sehen, viel schlimmer jedoch war die Tatsache, dass meine Oma mit ansehen musste, wie der Mann langsam neben ihr verfaulte. Unfähig, sich selbst aus den Trümmern zu befreien, musste sie neben dem Getroffenen ausharren, bis – viel später erst – Hilfe kam. Immer wenn später Bombenalarm war, blieb sie stoisch im oberen Teil des Hauses und wartete, bis der dröhnende Spuk vorbei war.
    Die einzige bildhafte Erinnerung, die ich an meine Großmutter habe, ist die, wie wir sie im Krankenhaus besuchten. Am Ende ihrer Tage war sie durchgedreht. Die Vergangenheit hatte sie eingeholt und überfahren wie ein schwerer Laster, und Körper und Geist waren schließlich zu schwach, um noch eine vernünftige Gegenwehr zu leisten.
     
    Mein Stiefvater war im Gegensatz zu meiner Großmutter kein Mann, der ein Übermaß an Empathie verströmte. Ich weiß nicht, ob das raue Leben auf See ihn zu dem grobklotzigen Typen gemacht hatte, der sich mir oft genug in den Weg stellte, oder ob es das Leben an anderer Stelle nicht gut mit ihm gemeint hatte. Er trank und kanalisierte seine stets darauf folgende Übellaunigkeit handfest in meine Richtung. Vermutlich ist bereits in jungen Jahren daher eine Abneigung gegen übermäßig viel Alkohol in mir gewachsen. Selbst wenn ich später mal ein Bier trank, so tat ich das lange Zeit nicht vor meinen eigenen Kindern.
    Obwohl ich nie wirklich adoptiert wurde, trug ich trotz allem bis zu meinem 16. Lebensjahr doch den Nachnamen meines Stiefvaters: Nothmann. Damals war es noch üblich, dass man als Kind mit einem von den Eltern ausgestellten Krankenschein zum Arzt ging. Immer wenn ich mich auf den Weg zu einem Arzt machte, hatte ich genau so einen Krankenschein bei mir, allerdings gaben meine Mutter und mein Stiefvater mir diesen immer in einem Kuvert mit. Ich kam zu den Ärzten, händigte ihnen den Umschlag aus und machte mir nie viele Gedanken darüber. Irgendwann, ich muss ungefähr fünfzehn Jahre alt gewesen sein, überkam mich aber auf einmal die Neugier. Auf dem Weg zu einem meiner Arztbesuche öffnete ich den Umschlag und sah mir den darin befindlichen Zettel zum ersten Mal an. Ich war mehr als überrascht, auf diese Art zu erfahren, dass ich mehrere Jahre den Krankenschein eines anderen mit mir getragen hatte. Konrad Reimann wurde auf diesem Wisch zum Arzt geschickt, nicht ich. Zu Hause erzählten sie mir dann, dass ich eigentlich Reimann hieße und einen anderen Vater hätte. Ich weiß noch, dass ich das damals relativ gelassen aufnahm. Die Neugier, den Mann, der mein Vater sein sollte, dennoch zu treffen, wuchs aber stündlich und wurde bald so groß, dass ich sie nicht mehr ignorieren konnte.
    Ein Treffen wurde arrangiert, um mir die Chance zu geben, meinen richtigen Vater kennenzulernen. Dazu gab es dann aber nicht wirklich Gelegenheit, denn meine Mutter und der erstmals für mich auftauchende Herr Reimann hatten sich schneller in den Haaren, als ich „Papa“ sagen konnte. Erst ein Jahr später verabredete ich mich alleine mit meinem
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