kommt wie gerufen
vorsprechen mußte. Zu ihrer Überraschung entdeckte sie die Straße in nächster Nähe vom Hotel. Es war eine durchaus achtbare Nebenstraße, der sich die Touristen bereits bemächtigt hatten, die sie leicht an den umgehängten Kameras erkennen konnte. Sie wanderte beinahe die ganze Straßenlänge ab, und als sie auf der gegenüberliegenden Seite den bewußten Laden erblickte, errötete sie und schlug rasch die Augen nieder. Dennoch hatte ihr der einzige, kurze Blick gezeigt, daß der Laden weder ärmlich noch vernachlässigt war, wie ihr Hang zur Romantik es ihr vorgegaukelt hatte. Vielmehr handelte es sich um ein modernes Geschäft, das wohl klein und eng war, dessen Fassade jedoch mit einem Mosaik verziert war, das einen Papagei darstellte.
In der nun folgenden Woche, die Mrs. Pollifax mit der Besichtigung der Stadt verbrachte, fand sie beinahe täglich eine Gelegenheit, an dem Papagei vorbeizukommen, und sie sah sich auch den Mann hinter dem Verkaufspult an. Sie fand ihn ausgesprochen sympathisch. Er war etwa so alt wie sie, hatte weißes Haar und einen weißen Schnurrbart, der in starkem Kontrast zu seiner dunklen spanischen Gesichtsfarbe stand.
Nachdem Mrs. Pollifax sich eine Woche lang in Mexico-City umgesehen hatte, sagte sie ihren frisch gewonnenen Freundinnen Lebewohl und fuhr mit dem Autobus nach Taxco, wo sie mehrere Tage durch krumme, holprige Gäßchen wanderte, sich die Silberschmiedearbeiten ansah und sich auf der Plaza sonnte. Dann kehrte sie über Acapulco wieder zurück.
Kaum in Mexico-City angelangt – sie traf am 15. August ein –, fand sie es beruhigend, durch die Calle el Siglo zu schlendern und sich zu vergewissern, daß ihr Laden noch dort war. Er war noch da, und Señor de Gamez sah genauso vornehm aus wie immer. Ja, er wirkte derart sympathisch, daß sie sich dachte: »Es kann doch nichts schaden, wenn ich einen Sprung in den Laden mache und etwas kaufe? Andere Touristen tun das ja auch, und ich komme so oft hier vorbei und habe für heute abend gar nichts zu lesen.« Beherzt überquerte Mrs. Pollifax die Straße und trat ein.
4
Mrs. Pollifax sah sich blitzschnell um, solange Señor de Gamez hinter dem Pult beschäftigt war, dann eilte sie zu dem Ecktisch mit dem Schildchen >Neuerscheinungen aus Amerika< und zerrte einen Band aus dem Stoß. Das einzige Geräusch in dem Laden war das Knistern neuen Papiers, mit dem Señor de Gamez die Bücher einpackte, und der Klang seiner Stimme. Leider redete er spanisch und deshalb verstand Mrs. Pollifax nichts. Sie wählte die Memoiren einer bekannten amerikanischen Schauspielerin aus und suchte in ihrer Handtasche nach Kleingeld. Im Geiste rechnete sie Dollar in Pesos um, als eine schnarrende Stimme die gedämpfte, ehrfürchtige Stille zerschnitt. »Alte Bücher, neue Bücher, lest Bücher!« kreischte die Stimme. Erstaunt wandte Mrs. Pollifax sich um und erblickte einen Papagei, der sie aus seinem Käfig ansprach.
»Nein, so etwas!« rief sie verdutzt.
»Gefällt Ihnen mein Papagei?« fragte Señor de Gamez vom Verkaufspult her. Sein Kunde ging, und sie waren allein. »Aber er hat Sie erschreckt, glaube ich. Meine Kunden sind an ihn gewöhnt, aber die neuen Kunden überrascht Óle regelmäßig. Kommen Sie ihn ansehen«, sagte er und ging zum Käfig. »Kennen Sie Papageien? Der hier ist ganz besonders schön. Haben Sie jemals solche Farben gesehen?«
»Prächtig«, sagte Mrs. Pollifax beeindruckt. »Aber mich hat eher sein Anblick als seine Stimme überrumpelt. Er ist so herrlich bunt, beinahe wie ein Sonnenuntergang – oder sind Papageien weiblichen Geschlechts?«
Señor de Gamez lächelte und erwiderte mit altmodischer Galanterie: »Nun, es gibt sowohl Männchen als auch Weibchen, nicht wahr? Und so muß es auch immer bleiben.«
Mrs. Pollifax erwiderte sein Lächeln. »Natürlich, wie unüberlegt von mir. Ich rede meistens, ohne zu denken, das ist eine sehr schlechte Gewohnheit. Und schließlich heißt Ihr Geschäft ja auch zum Papagei.«
Er hob eine Hand hoch. »Nein, nein, mein Laden ist nach Óle benannt, nicht umgekehrt. Meine Óle kam zuerst. Sie ist schon seit zwölf Jahren bei mir. Was ich anfange, wenn sie einmal stirbt, weiß ich nicht.«
Mrs. Pollifax nickte verständnisvoll. »Tja, das ist ein Problem. Natürlich werden Ihnen Ihre Bekannten raten, sich eben einen anderen Papagei zuzulegen, aber das ist nie das gleiche, nicht wahr?«
Er sagte ehrerbietig: »Richtig, nie mehr. Sie sind sehr weise.«
»Nein«,
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