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Komische Voegel

Komische Voegel

Titel: Komische Voegel
Autoren: Gerbrand Bakker
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sein Aquarium auf der Fähre zu wissen war ungefähr so, als hätte man auf der Autobahn einen Tieflader mit Autowracks vor sich oder als sähe man Airforce One im Flugzeug oder Die Höllenfahrt der Poseidon auf einem Kreuzfahrtschiff.
    Bei der Rückfahrt stürmte es wieder, diesmal aus nordöstlicher Richtung. Kein kleiner Junge mit einem Reiseaquarium voller Goldfische war an Bord. Draußen war es dunkel, und wir kamen mit zwanzig Minuten Verspätung an.
    Socke
    Montag, 15. November 2004
    Schon seit zwei Tagen faszinierte mich die Socke. Eine Socke über eine Hand gestülpt, an Ort und Stelle gehalten von einer Armbanduhr mit breitem Band. »Was hat sie?« fragte ich Lila Prap, die berühmte slowenische Illustratorin und Kinderbuchautorin, und deutete diskret auf die Frau mit der Socke. » Bitten by a bear «, antwortete Lila kühl. (Später merkte ich, daß sie ihre Kollegin nicht mochte.) » The stupid woman just put her hand in a cage, to pat the bear .«
    Ich konnte meine Neugier nicht bezähmen. Im Bus auf der Rückfahrt nach Ljubljana bat ich die Frau, mir ihre Hand zu zeigen; ich würde gern mit eigenen Augen sehen, was ein Bärenbiß anrichtet, sagte ich. Sie zog freudig die Socke von der rechten Hand, die tatsächlich stark verstümmelt war. Anschließend zeigte sie mir ihr Kinderbuch über ein Mädchen, das von einem Bären gebissen wird, und dann, als Höhepunkt, Fotos von dem Arm kurz nach dem Bißunfall. Die slowenischen Schriftsteller und Illustratoren um uns herum seufzten tief und schauten demonstrativ weg. Ich verzog keine Miene und betrachtete interessiert die blutige Masse auf den Bildern.
    » How did it happen? « fragte ich. Vor dreizehn Jahren habe sie eine Diskothek besucht, deren Besitzer es für eine witzige Idee hielt, seinen Gästen in drei Käfigen einen Braunbären (einheimisch), ein Krokodil und einen Löwen zu präsentieren. Sie habe etwas zu nah an dem Bärenkäfig gestanden. Einem Käfig mit etwas zu großen Abständen zwischen den Stäben. Nein, der Bär sei nicht getötet worden, es sei ja nicht seine Schuld gewesen.
    Später, ich starrte durch das wolkenbruchnasse Busfen
ster ins Dunkel, versuchte ich mir vorzustellen, wie der Abend in der Diskothek weitergegangen war, nachdem der Rettungswagen die Autorin ins Krankenhaus gebracht hatte. Zum Abschied wollte ich ihr die Hand geben. »Nein, die andere«, sagte sie und zeigte auf meine Linke. »Warum?« fragte ich. »Ich bin nun einmal Rechtshänder.« Es tat mir sofort leid.
    Noch etwas später dachte ich: Wo mag der Daumen geblieben sein? Hat der slowenische Bär sich den als leckeres Häppchen einverleibt?
    Richtigstellung
    Freitag, 11. März 2005
    Ich weiß etwas Neues über die Schriftstellerin mit der verstümmelten Hand. Von Anfang an hatte ich den Eindruck, Lila Prap und andere slowenische Kollegen und Kolleginnen hätten keine allzu hohe Meinung von ihr. In der vergangenen Nacht kam eine triumphierende E-Mail von Lila. Die Schriftstellerin habe ein Zeitungsinterview gegeben: she told a little different story, as she told you: she wanted to feed a bear in a cage with an apple in one »gasthaus« – so, you can never know when she is telling the right version .
    Es ist natürlich schon ein großer Unterschied, ob man durch einen unglücklichen »Zufall« verstümmelt wird oder weil man einem Bären einen Apfel geben wollte – nicht mit Hilfe eines Stocks, sondern mit der Hand. Trotzdem verstehe ich sie. Wenn ein Teil meiner Hand von einem Bären gefressen worden wäre, würde ich das auch zum Mythos
aufblasen, würde die Sache bis zum Ende meines Lebens ausschlachten und zehn Bücher darüber schreiben, jedes mit einer etwas anderen Version. Irgendwann wäre ich der Bär, wäre ich der aufgefressene Teil meiner Hand, wäre ich die Socke am Ende meines Arms.
    Zur Lage der Welt
    Donnerstag, 14. Juli 2005
    Es geht aufwärts mit der Welt. Nach kostenloser Logopädie für erschöpfte Papageien im Amazonasgebiet und Werkunterricht (Laubsägearbeiten und Modellieren in Ton) für Bonobos in Afrika gibt es jetzt endlich einen Tarifvertrag für die Strandesel von Blackpool.
    Tagaus, tagein mußten die zweihundert Esel Tausende von Kindern über den Strand transportieren; sie wurden ohne Rücksicht auf ihre Bedürfnisse ausgebeutet. Der Tarifvertrag (unklar ist, wer ihn durchgesetzt hat) legt unter anderem fest, daß die tägliche Arbeitszeit neun Stunden nicht überschreiten darf, einschließlich mindestens einer Stunde Mittagspause
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