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Kokoschkins Reise

Kokoschkins Reise

Titel: Kokoschkins Reise
Autoren: Hans Joachim Schädlich
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Strahov.
    «Ich war schon ewig nicht hier», sagte Hlaváček.
    «Ich noch nie», sagte Kokoschkin.
    Sie gingen durch das barocke Hauptportal in den ersten Klosterhof. Zur Linken die Pfarrkirche St.   Rochus. Hlaváček sagte, Kaiser Rudolf   II. habe sie gestiftet, als Dank für das Ende der Pestepidemie. Auf der anderen Seite des Platzes die Klosterkirche Mariä Himmelfahrt. «Über die Klosterkirche wäre viel zu sagen, vor allem über die Ursula-Kapelle und die Kapelle der Jungfrau Maria von Passau, die wir einfach die Pappenheimer-Kapelle nennen», sagte Hlaváček, «aber ich nehme an, Sie möchten zuerst die Bibliothek sehen.»
    «Ja!»
    Kokoschkin nannte die beiden Säle, den Philosophischen und den Theologischen, Wunderwerke des Barock. Lange stand er vor den Regalen.
    «Diese Klosterbibliothek, diese Bücher – was dagegen sind schon zwanzig Jahre Kommunismus in Prag.»
    Hlaváček sagte: «Die Kommunisten betrachten sich als krönenden Höhepunkt der Geschichte.»
    «Wir wissen, wann wir lachen müssen   …»
    «Mir ist nicht zum Lachen zumute.»
     
    An einem dritten Tag fuhren Kokoschkin und Hlaváček auf den Hradschin. Es war der 12.   August. Sie gingen direkt in den dritten Burghof, gingen rechts an der Alten Propstei vorbei zum Reiterstandbild des Prager Georg.
    Kokoschkin sagte: «Ich kann mir nicht helfen, mir wird alles zum Symbol der Gegenwart. Sie können mich auslachen, aber die alte Geschichte ist zu schön, um nicht aktuell gedeutet zu werden. Georg tötet den Drachen, rettet die Königstochter und befreit das Land von der Gewalt.»
    Hlaváček lächelte.
    Sie betraten den Veitsdom. Die überirdische Höhe, das Licht, das den Hochchor durchflutete, die Stille.
    Hlaváček sagte: «Ich bete, daß uns die Freiheiten erhalten bleiben, die wir seit Januar besitzen.»
     
    Tags darauf fragte Kokoschkin Hlaváček, ob er Auto fahren könne und eine drivers license besitze.
    «Ja. Nur das Auto fehlt.»
    «Hören Sie. Ich kaufe auf Ihren Namen ein gebrauchtesAuto, und wir unternehmen eine Autofahrt nach Südmähren.»
    «Wie kommen Sie darauf?» Hlaváček betonte auffällig das letzte Wort.
    «Ich wäre damals beinahe nach Südmähren gegangen. In einen Marktflecken bei Telč.»
    «Wie heißt der Ort?»
    «Studená.»
    «Das kenne ich nicht. Aber in Telč waren wir schon, meine Frau und ich.»
    «Telč und Studená möchte ich gerne sehen.»
    «Warum nicht. Ich frage einen Freund, wo wir einen gebrauchten Wagen kaufen können.»
    «Bitte fragen Sie nach einem Tatra T600.»
    «Das ist ungewöhnlich. Dieser Wagen war Ende der vierziger Jahre eine Nobelkarosse für kommunistische Funktionäre.»
    «Jetzt soll er für uns gut sein, falls es ihn noch gibt.»
    «Man sieht ihn manchmal. Ganz in Schwarz. Wahrscheinlich teuer.»
    «Nicht für Dollar.»
     
    Ein gebrauchter Tatra T600 war nicht aufzutreiben. Aber Hlaváčeks Freund František lieh seinen Škoda Octavia, Baujahr 1960.   Kokoschkin bezahlte eine Leihgebühr für eine Woche.
    Hlaváček rief einen Gasthof in Studená an und buchte für eine Woche zwei Zimmer.
    Am Morgen des 16.   August holten Hlaváček und seineFrau Branka Kokoschkin vom Hotel ab. Kokoschkin hatte das Zimmer bezahlt und ließ seinen Koffer zum Auto bringen.
    Branka Hlaváčková saß im Fond. Kokoschkin mußte neben Hlaváček sitzen.
    Bei Jihlava verließen sie die Autobahn nach Brno, und gegen Mittag kamen sie in Telč an. Hlaváček parkte auf dem Marktplatz.
    Kokoschkin verschlug es die Sprache. Der dreieckige Platz ein perfektes Renaissance-Ensemble. Jedes Haus harmonisch ins Ganze gefügt und zugleich unverwechselbar eigen. Die Arkaden – von Gewölben überspannte Flurhallen. Die Dachaufsätze. Der Fassadenschmuck, Sgraffiti, Wandmalereien, Pilaster.
    Am Ende des Platzes mit seinem Katzenkopfpflaster – das Stadtschloß.
    Hlaváček sagte: «‹Ich möchte wetten, daß es bei uns keinen schöneren Marktplatz als den in Telč gibt.› Das hat Karel Čapek gesagt. Und: ‹Männer von Telč, laßt ihm nichts geschehen!› Ich schlage vor, daß wir uns morgen das Stadtschloß ansehen. Heute sollten wir nach Studená weiterfahren.»
    «Einverstanden», sagte Kokoschkin.
    Sie richteten sich im Gasthof in Studená ein und machten sich bald auf den Weg zu einem Badeteich. Kokoschkin setzte sich in den Schatten und las Zeitung. Er hatte aus Prag die Londoner Times und den Daily Mirror mitgebracht. Hlaváček und seine Frau Branka gingen schwimmen und legten sich in
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