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Koerper, Seele, Mensch

Koerper, Seele, Mensch

Titel: Koerper, Seele, Mensch
Autoren: Bernd Hontschik
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Schmerzen nicht mehr arbeiten konnte. Eine wichtige Erfahrung während dieser Zeit war es für ihn, daß er, kaum hatte er das Sprechzimmer eines Arztes verlassen, regelmäßig das Gefühl bekam, seine Fragen gar nicht gestellt zu haben, die Chance verpaßt zu haben, Antworten auf diesen ganzen Katalog von Fragen zu bekommen. Daß Patienten die Möglichkeit haben müssen, ihre Fragen zu stellen und aktiv in einen Entscheidungsprozeß mit einbezogen zu werden, war seine Erkenntnis aus solchen Situationen.
    Recht beiläufig und unvermittelt berichtet der Patient dann weiter über den Krankheitsverlauf: Er habe plötzlich eine Möglichkeit für einen minimal-invasiven Eingriff gesehen, der ambulant durchgeführt wurde. Am Tag nach der Operation waren die Schmerzen weg, einen Tag später war der Mann zum erstenmal seit Monaten wieder in der Lage, zu Hause den Rasen zu mähen.
    Leider endete der Beitrag da, wo es eigentlich interessant wird. Wenn dieser Patient, zufällig auch ein Arzt, doch so viele widersprüchliche Empfehlungen von Ärzten, Chirurgen und Orthopäden erhalten hatte, wie kam es dann, daß er sich doch hatte operieren lassen? Warum gerade von diesem und keinem anderen Chirurgen? Wie hatte er zu ihm – der ihm dann ja zum Glück auch wirklich helfen konnte – Vertrauen gefaßt?
    Ich kontaktierte und fragte ihn, seine Antwort lautete: »Ich hegte ›als Patient‹ bei den vielen Konsultationen viele Zweifel: Mir wurde oft nicht richtig zugehört, ich fühlte mich oft nicht richtig verstanden, auf meine individuelle Situation wurde nicht eingegangen. Mir schien oft, daß jeder Arzt, den ich konsultierte, ein spezifisches (und beschränktes) Spektrum anbot und mir gerade dieses Spektrumüberstülpen wollte. Bei dem Neurochirurgen, dem ich mich letztlich anvertraute, war das anders: Er hörte mir zunächst einmal interessiert zu, fragte nach, machte sich ein Bild, das er mit mir besprach, und dann bot er mir mehrere Alternativen an, besprach dann mit mir deren Vor- und Nachteile. Schließlich fühlte ich mich verstanden und informiert. Dieser ganze Prozeß dauerte weniger als eine halbe Stunde, und plötzlich machte es bei mir ›Klick‹ – und ich war mir sicher, mich zu dem richtigen Eingriff zu entscheiden.«
    Es steht ohne Zweifel fest, daß die vielen Münchner Koryphäen, die er schon aufgesucht hatte, diese Operation technisch genauso gut hätten ausführen können wie der letztlich erfolgreiche Neurochirurg. Der Patient entschied sich aber für den Arzt, zu dem er eine Beziehung aufgebaut hatte, die auf Vertrauen beruhte und in einem Gespräch entstanden war. Er hatte den passenden Arzt gefunden, es war zu einer Passung gekommen; im kommunikativen Austausch zwischen Arzt und Patient, in komplexen Zeichenprozessen zwischen zwei sich völlig fremd gegenüberstehenden Lebewesen, konnte eine gemeinsame Wirklichkeit entstehen, in der eine Festlegung des Behandlungsauftrags für Patient und Arzt möglich wurde. In seinem Bericht benutzt der Patient für diesen Vorgang der Konstruktion einer gemeinsamen Wirklichkeit die anschauliche Formulierung: »Er machte sich ein Bild, […] und plötzlich machte es bei mir ›Klick‹«.
    Dieser Fall, in dem ein Arzt zum Patient wurde, ist ein Beispiel für eine gelungene Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Solche Beispiele findet man in der Schulmedizin eher selten, denn weder während des Medizinstudiumsnoch in der Ausbildung zum Facharzt gibt es Angebote, etwas über gelungene und mißlungene Kommunikation zu lernen. Dennoch: Die Schulmedizin weiß um dieses Defizit. Anstatt aber die gängige Praxis zu ändern, wurde ein eigenes Fach, die Psychosomatik, kreiert. Daß auch vermeintlich mechanische, triviale Vorgänge wie etwa chirurgische Eingriffe mißlingen können, wenn sie von Kommunikationsstörungen begleitet werden – wie es im Kapitel über Wundheilungsstörungen ausgeführt worden ist –, und daß sie im Fall einer gelungenen Kommunikation zum gewünschten Erfolg führen können, wie es der gerade beschriebene Fall zeigt, hat erfahrene Chirurgen dazu veranlaßt, Psychologen oder Psychosomatiker in ihre Teams aufzunehmen. Das ist zum Beispiel in der Transplantationschirurgie heute ein selbstverständlicher Standard (vgl. Schulz u. a. 1999). Was aber ist Psychosomatik? Wie ist sie definiert, woher bezieht sie ihre Identität als inzwischen sogar eigenständige medizinische Facharzt-Disziplin?
    Das Wort Psychosomatik ist in der Geschichte der Medizin
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