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Koerper, Seele, Mensch

Koerper, Seele, Mensch

Titel: Koerper, Seele, Mensch
Autoren: Bernd Hontschik
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noch nicht allzu lange, erst seit etwa 200 Jahren, gebräuchlich. In den letzten Jahrzehnten ist es außerhalb des medizinischen Bereichs zu einem Modewort geworden. Man bezeichnet damit gern Befindlichkeitsstörungen, für die die Seele, die Konstitution oder der Charakter des Betroffenen zumindest teilweise verantwortlich gemacht werden können. Eigentlich ist dieser Gebrauch des Begriffs Psychosomatik eine Gegenreaktion darauf, daß Psyche und Soma, Seele und Körper, in der Schulmedizin getrennt betrachtet und auch getrennt behandelt werden; wenn man so will, ist der Begriff Ausdruck der Sehnsucht nach einer verlorengegangenen Ganzheitlichkeit.
    Was man unter Psychosomatik heute versteht, ist vielschichtig und widersprüchlich. Es lassen sich vier Konzepte unterscheiden.
    Nach der (auch historisch gesehen) ersten Variante ist die Psychosomatik eine eigenständige Krankheitstheorie, die besagt, daß es ›echte‹, d. h. ausschließlich psychosomatische Krankheiten gibt, zum Beispiel das Asthma bronchiale, die chronische Dick- oder Dünndarmentzündung (Colitis ulcerosa oder Enteritis regionalis) oder das Zwölffingerdarmgeschwür (Ulcus duodeni). Diese Krankheiten werden als zum Fachgebiet der Psychosomatik gehörend reklamiert. Obwohl es sich dabei nun wirklich nicht um harmlose organische Krankheiten handelt, sind Anhänger dieser Theorie der Ansicht, sie seien psychogen, also psychisch verursacht. Die Psychosomatik wäre damit die Lehre von den psychisch verursachten Krankheiten. Dieses Konzept ist längst überholt; wenn es psychosomatische Krankheiten gibt, dann muß es doch auch nicht-psychosomatische Krankheiten geben – man nenne mir eine einzige. Dennoch sitzt diese Vorstellung bis heute fest in den Köpfen der Patienten und auch der Ärzte, zumindest derjenigen meiner Generation.
    Die zweite Variante der Psychosomatik beschäftigt sich mit den Krankheiten ohne organische Ursache. Diese nannte man früher funktionelle Krankheiten, heute muß man sie somatoforme Störungen nennen, was zwar dasselbe bedeutet, aber seriöser klingt, aus den USA kommt und in einem computeradaptierten Code, dem sogenannten ICD (International Classification of Diseases), verschlüsselt werden kann. Ein überzeugendes Konzept ist das nicht, aber hier sammeln sich viele Patienten, weil sie anderswo in der Medizin keinen Platz finden. Sie sind tatsächlichkrank, das Herz rast, der Kopf oder der Bauch schmerzt, die Muskeln oder Gelenke tun weh, die Leistungsfähigkeit läßt nach. Karl Valentin hat das einmal so beschrieben: »Mein Magen tut weh, die Leber ist geschwollen, die Füße wollen nicht so recht, das Kopfweh hört auch nicht auf, und wenn ich von mir selber reden darf: Ich fühle mich auch nicht wohl.« Das ist eine typische Beschreibung von Körper-Haben im Gegensatz zum Körper-Sein in einer ganzheitlichen Denkweise. Als Fundament einer Krankheitslehre ignoriert das Konzept der ›Krankheiten ohne organische Ursache‹ vieles, nicht zuletzt die historische Dimension von Diagnoserastern: Bloß weil bislang für diese oder jene funktionelle Erkrankung noch kein körperliches Korrelat definiert worden ist, tut man so, als gäbe es keines, und steckt diese Erkrankungen alle in die gleiche Schublade. Vielleicht findet ja ein begnadeter Forscher demnächst eine organische Ursache für eine funktionelle oder somatoforme Krankheit – ist die Psychosomatik dann nicht mehr zuständig? Ist das vielleicht der Grund, warum sich die Psychowissenschaften mit so viel Hurra auf die Neurobiologie stürzen? Endlich kann man eine Emotion organisch lokalisieren, im Gehirn leuchtet es rot auf! Aber sicherlich wußte man doch schon vor der Erfindung des Kernspintomographen, daß Liebe und Haß, Scham und Trauer, Depression und Freude, Ekel und Begeisterung irgendwo im menschlichen Körper, zum Beispiel im Gehirn, auch eine organische Grundlage haben müssen. Das kann also auch nicht die Psychosomatik sein. Psychosomatik wäre dann ja die Medizin für Krankheiten ohne organische Ursache. Die dritte Variante der Psychosomatik besagt, daß es Krankheiten gibt, die mit Psychotherapie behandelt werdensollten. Dieses Konzept verstehe ich sofort, und mir fallen auf Anhieb viele Patienten aus meiner chirurgischen Praxis ein, für die es zutrifft. Psychotherapie ist in diesem Modell für diejenigen Patienten da, bei denen entweder die Symptome oder der Verlauf einer Krankheit schwerere, unverstandene seelische Probleme ausdrücken oder bei denen
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