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Koerper, Seele, Mensch

Koerper, Seele, Mensch

Titel: Koerper, Seele, Mensch
Autoren: Bernd Hontschik
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Instruments oder eines Medikaments erfolgt – die Uhr, die repariert werden kann. Mit dieser Auffassung hat die Medizin in den letzten 200 Jahren größere Erfolge erzielt als je zuvor; schließlich kann der Mensch, wenn man ihn als offenes System versteht, genau definiert und katalogisiert werden, und Krankheiten lassen sich als Maschinendefekte einordnen. Dadurch ist es Gesetzgebern und Wirtschaftsfachleuten möglich, standardisierte Behandlungsverfahren festzulegen, die Behandlungen der Ärzte zu steuern und zu überwachen, die Behandlungskosten und die Länge von Krankenhausaufenthalten zu bestimmen. Weil alle Uhren nach dem gleichen Prinzip funktionieren, liegt innerhalb dieses Modells die Vorstellung nahe, daß nach dem geradlinigen Prinzip von Ursache und Wirkung ein bestimmter Auslöser bei allen Menschen die gleiche Reaktion hervorruft.
    Betrachtet man den Mensch aber als eine nicht-triviale Maschine, als ein geschlossenes System, hat das Auswirkungenauf die Kommunikation. Denn ob die innere Realität der einen Black Box mit der einer anderen etwas zu tun hat, ob es gar zu einer Passung, einem gegenseitigen Verstehen kommt, bleibt letztlich immer fraglich.
    Konstruktivismus ist ohne Semiotik, ohne Zeichentheorie, nicht denkbar. Treffen nämlich zwei Lebewesen aufeinander, können sie jeweils nur die Zeichen wahrnehmen, die ihr Gegenüber aussendet; jedes Lebewesen produziert ständig Zeichen und ist gleichzeitig damit beschäftigt, Zeichen aufzunehmen und zu verstehen. Ein Teil der Theorie von den Zeichen, der Semiotik, ist die Biosemiotik, die in der Beziehung zwischen Arzt und Patient eine Rolle spielt, da sie sich mit denjenigen Zeichen (griechisch: semeion) beschäftigt, die im Leben (griechisch: bios) eine Rolle spielen. In der Integrierten Medizin hat man sich für die Zeichentheorie von Charles Sanders Peirce, einem amerikanischen Philosophen aus dem 19. Jahrhundert, entschieden, der sämtliche existierenden Zeichen in drei »Universalkategorien« einteilt, nämlich die ikonische, die indexikalische und die symbolische.
    Ikonische Zeichen bezeichnen basale körperbezogene Erfahrungen wie Hunger, Durst, Schmerz, Lust, für die wenige sprachliche Mittel zur Verfügung stehen. Sie verweisen auf nichts, sondern sind einfach das, was sie sind. Die indexikalischen Zeichen dagegen stellen Verbindungen her, sie verweisen auf etwas und enthalten Vorstellungen und Erfahrungen über Ursache und Wirkung, so wie Rauch auf Feuer verweist oder Wasserdampf auf kochendes Wasser. Auf dieser Ebene geht es für das zeichengebende und -empfangende Subjekt um Erfahrung, um Einflußnahme, um die Herstellung von Kausalitätszusammenhängen,um die Entwicklung einer sensorischmotorischen Kompetenz und um die Erfahrung von Zeitlichkeit und Perspektive.
    Bei der dritten Gruppe, den symbolischen Zeichen, tritt der abstrakt-logische Bereich in den Vordergrund. Die Sprache transportiert die Zeichen, ein starkes Gefühl wird nun zum Beispiel nicht mehr nur durch eine Geste – ein überwiegend indexikalisches Zeichen –, sondern durch Sprache, also verbal mitgeteilt; es ist abstrahiert worden. Das Wort enthält eine allgemeine Vorstellung, ein Gesetz, wie Peirce sagt. Hier bilden sich innere Repräsentanzen heraus, die es dem Individuum erst ermöglichen, die Geschichte der eigenen Existenz zu entwickeln, eine Geschichte, ein Narrativ der eigenen Existenz zu entwerfen und Sinnzusammenhänge herzustellen. Während die Beziehungen zwischen dem ikonischen bzw. dem indexikalischen Zeichen und dem Gegenstand oder Sachverhalt, für den es steht, nicht willkürlich sind, ist das bei den Symbolen sehr wohl der Fall – man könnte so oder anders sprechen: Es gibt unüberschaubar viele Sprachen. Durch die Gemeinschaft der Sprechenden sind die symbolischen Zeichen aber zur Konvention geworden, die man kennen muß (mit anderen Worten: man muß die Sprache kennen), um das Zeichen zu verstehen.
    Konstruktivismus und Biosemiotik bedürfen jedoch noch einer weiteren Ergänzung, denn bis hierher ist es nur unzureichend zu verstehen, wie ein Organismus funktioniert. Wie kann zum Beispiel ein Schamgefühl – eindeutig ein Vorgang des Erlebens – zum Erröten und zu erhöhtem Puls, also zu eindeutig physikalisch-chemischen Reaktionen führen? Es muß bei der Konstruktion der individuellen Lebenswirklichkeiten und bei der Kommunikationmit Hilfe von Zeichen verschiedene Ebenen geben, unterschiedlich komplexe Teile eines Systems – Gesamtsysteme,
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