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Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht

Titel: Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
Autoren: Bernhard Hennen
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– gab er einem in Form einer weiblichen Brust künstlich aufgeworfenen, sechzig Stadien von Jerusalem entfernten Hügel, den er mit großer Pracht ausschmückte. Diese Beschreibung entspricht der Form des Hügels, auf dem wir den dritten König fanden. Auch die Entfernungsangabe nach Jerusalem passt zu unserem Hügel. Warum das von Bedeutung ist, wirst du weiter unten lesen können, denn am Ende des ersten Buches wird die Festung Herodeion noch einmal erwähnt.«
    Der Wirt stellte zwei Holzplatten mit gebratenem Fleisch vor ihnen auf den Tisch. Ingerimm nahm die Dokumente an sich und schob sie in die Ledertasche zurück. »Jetzt sollten
wir uns besser stärken. Du kannst es lesen, wenn wir den letzten Beweis gefunden haben.«
    »Das Bleistück im Mund des Heiligen?«
    »Von solchen Dingen spricht man nicht beim Essen, junger Freund. Empfindlichen Gemütern könnte es den Appetit verderben.« Der Alte lachte leise.
    Hartmann verspürte in der Tat großen Hunger. Gleichzeitig beobachtete er mitleidig den Alten. Hatte ihm die lange Suche den Verstand verwirrt? Begriff er nicht, dass die Stadttore versperrt waren? Doch er würde sich ihm fügen und die Narretei Ingerimms bis zum Ende mitspielen. Immerhin hatte er es ihm geschworen. Morgen aber würde er den Alten verlassen!
     
    Sie folgten der Stadtmauer nach Osten, bis sie an die Eckbastion gelangten, die nahe dem Rhein lag. Hier gab es eine kleine Pforte. Nachdem sich endlich ein Wächter auf den Mauern gezeigt hatte, verlangte Ingerimm, den Kommandanten des Tors zu sprechen. Hartmann war die Angelegenheit peinlich. Er rechnete mit einem scharfen Verweis des Wachhabenden. Doch als sich das Tor öffnete und ein verschlafen wirkender Ritter barsch fragte, was ihr Begehr sei, hielt Ingerimm ihm einen silbernen Siegelring unter die Nase. Sofort wurde der Mann freundlicher. Trotz der späten Stunde durften sie passieren, ohne dass der Befehlshaber der Wache ihnen noch eine Frage stellte.
    In der dunklen Stadt begaben sie sich nach Süden. Deutlich hoben sich die Türme des Doms gegen den frostklaren Nachthimmel ab. »Du hast noch immer den Ring des Erzbischofs?«
    Ingerimm antwortete nicht. Am Sankt-Kunibert-Kloster
bogen sie auf die lange Sankt-Johannes-Straße ab, die fast bis zum Dom führte. Der Platz vor der großen Kirche war verlassen. Ingerimm führte Hartmann zu der Seitenpforte der Vorhalle. Diesen Weg hatte er auch mit Clara und Ludwig gewählt.
    Der Ritter war nicht überrascht, als sein Gefährte einen Schlüssel hervorholte und die Pforte aufsperrte. »Jetzt wirst du deinen Schwur einlösen können«, sagte der Alte ernst.
    Hartmann nickte nur. Durch die Vorhalle gelangten sie in den Dom. Er sah noch immer so aus, wie ihn Ingerimm beschrieben hatte. Die staubigen, zerrissenen Fahnen, die Seidenteppiche an den Wänden. Die hohe Balkendecke verlor sich in der Finsternis. An einigen Altären brannten Kerzen, die allerdings der Dunkelheit nur kleine Lichtkreise abtrotzten. Es roch nach Weihrauch und Staub, und beinahe schien es hier noch kälter zu sein als draußen.
    Als sie das Hauptschiff erreichten, hielt Ingerimm ihn zurück. Aufmerksam spähte der Alte ins Dunkel. Wen erwartete er hier mitten in der Nacht? Fürchtete er die Geister der Vergangenheit? Schließlich gab er Hartmann einen Wink. »Wir sind allein. Sieh nur!« Er wies zum Hochaltar, neben dem ein riesiges goldenes Reliquiar aufgestellt war. Als sie näher traten, konnte man sehen, dass die Arbeit an dem Reliquienschrein noch lange nicht vollendet war. Das Figurendekor war unvollständig, von einer Schmuckborte waren erst die ersten beiden Stücke eingesetzt, und an manchen Stellen gab es Fassungen, in die aber noch keine Edelsteine eingefügt waren. Dennoch wirkte der goldschimmernde Schrein von weitem sehr eindrucksvoll. Seine Mängel wurden erst offenbar, wenn man näher an ihn herantrat.

    Ohne Umschweife begann Ingerimm, den kostbaren Schrein abzutasten. Besorgt blickte Hartmann zurück in die lange Kirchenhalle. Wenn man sie hier entdeckte, ausgerechnet in der Nacht vor dem Dreikönigsfest, war es um sie geschehen!
    Ein leises Knarren ließ ihn herumfahren. Ingerimm hatte es geschafft, den Schrein zu öffnen. Vorsichtig beugte er sich vor. Auch Hartmann ergriff Neugier. Er blickte in den goldenen Sarg. Im schwachen Kerzenlicht waren die Körper der Heiligen kaum zu erkennen. Sie waren in brüchige Gewänder gekleidet. Ein Knabe, ein Mann in mittleren Jahren und ein alter, bärtiger Mann
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