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Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde

Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde

Titel: Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde
Autoren: Martin Wehrle
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Erdbeeren, die im Joghurt schwimmen, im Werbespot so rot wie ein verführerischer Kussmund und so groß wie ein Teelöffel – während in meinem Originalprodukt nur leichenblasse Minifetzen dümpeln? Warum sieht das Müsli, das ich morgens löffle, wie vorgekaut aus – während es in der Werbung knackt und knuspert? Warum schrumpelt das Hähnchen, das ich backe, mit blasser Runzelhaut in sich zusammen – während das Hähnchen in der Werbung so braun und straff aussieht, als flöge es gleich davon?
    Uns Kunden wird alles Mögliche präsentiert – nur nicht das Originalprodukt. Ein ganzer Geschäftszweig hat sich darauf spezialisiert, hässliche Produkt-Entlein als stolze Schwäne über den Teich der Werbung schwimmen zu lassen: die Foodstylisten. Statt ein Lebensmittel so zu zeigen, wie es ist, zaubern sie es so zurecht, wie der Hersteller es gerne hätte.
    Mit welchen Tricks arbeitet ein Foodstylist, um ein Produkt ins rechte Licht zu rücken – und mich als Kunden hinters Licht zu führen? Ich greife zum Telefon, rufe Foodstylisten an und bitte um ein Gespräch. Die Branche blockt ab. Einer sagt, er sei vertraglich zum Schweigen verpflichtet. Die nächste will ihre »Geschäftsgeheimnisse nicht in die Hände der Konkurrenz spielen«. Und ein Dritter behauptet schlicht: »Bei mir gibt es keine Tricks.«
    Erst als ich absolute Vertraulichkeit garantiere, finde ich einen gesprächigen Foodstylisten. Ich beginne mit einer naiven Frage: »Warum bilden Sie ein Produkt nicht einfach ab, wie es ist?«
    »Models werden doch auch geschminkt. Dasselbe tun wir mit Lebensmitteln. Ich finde das nicht anrüchig.«
    »Sie schminken Lebensmittel?«
    »Na ja, wir werten die Produkte eben auf. Nehmen Sie zum Bei spiel ein Brathuhn. Was da in Wirklichkeit aus dem Ofen kommt, wäre ein schlaffer Vogel. Ich stopfe das Tier mit Küchenpapier aus, dann wirkt es prall. Ich verwende Sekundenkleber, dann stehen die Flügel ab. Jetzt noch eine dunkle Färbeflüssigkeit drauf und später den Bunsenbrenner dranhalten – schon hab ich ein perfektes Brathuhn.«
    »Haben Sie kein schlechtes Gewissen dabei? Der Kunde denkt doch, er würde ein solches Huhn kaufen.«
    »Das ist doch mein Job! Ich verkaufe keine Lebensmittel, ich präpariere und fotografiere sie nur. Außerdem ist das Huhn ja immer noch ein Huhn. Oft arbeiten wir mit Dummys.«
    »Dummys?«
    »Eine Nachbildung des Produktes. Oder dachten Sie tatsächlich, dass der Schaum auf dem Werbefoto des Biers echter Bierschaum ist.«
    »Eigentlich schon«, gebe ich zu.
    Er lacht: »Da würden Sie sich beim Trinken wundern: Das ist geschlagenes Eiweiß:«
    »Igitt!«
    Er lacht noch lauter: »Ach, das ist noch gar nichts. Was meinen Sie, woraus das leckere Eis besteht, das Ihnen in der Werbung den Mund wässrig macht?«
    »Gefrorenes Farbwasser?«
    »Das ist eine Mischung aus Puderzucker und Margarine; Eis würde viel zu schnell schmelzen. Und die Schlagsahne, die Sie oben drauf sehen, könnten Sie sich ins Gesicht schmieren. Das ist Rasierschaum.«
    »Was in der Werbung so lecker wirkt, ist in Wirklichkeit ungenießbar?«
    »Manchmal sogar giftig! Was meinen Sie, warum die Drinks immer so schön prickeln? Da ist Filmentwickler drin! Damit könnte man einen Elefanten vergiften.«
    Am Ende des knapp einstündigen Gesprächs weiß ich, dass die Bilder der Werbung nichts als Lügen sind. Was mir als Schokolade den Mund wässrig macht, ist in Wirklichkeit Kunstharz. Was als cremiger Pudding vor mir zerfließt, ist mit Mayonnaise durchzogen. Und was am Bierglas glitzert, sind keine Wassertropfen, sondern eine giftige Mischung aus Glyzerin und Silikon.
    Der Foodstylist, der mir all das verraten hat, arbeitet für die bekanntesten Lebensmittelhersteller des Landes. Er ist mit sich im Reinen: Schließlich liefert er nur, was die Auftraggeber bei ihm bestellen.
    Aber ist es wirklich so schlimm, dass die Produkte für die Werbung ein wenig aufgehübscht oder durch Dummys ersetzt werden? Ist es nicht sogar der Perfektionsanspruch von uns Kunden, der solche optischen Trickbetrügereien heraufbeschwört? Sind wir also selbst Schuld an dem Elend?
    Nein. Was sich jeder Kunde wünscht, ist ein perfektes Produkt – aber kein perfektes Täuschungsmanöver! Niemand lässt sich gerne hinters Licht führen. Wenn mir ein Hersteller ein Dummy anstelle der wahren Produkte zeigt, dann ist das eine arglistige Täuschung. Wie soll ich demselben Hersteller dann noch vertrauen, etwa bei seinen Aussagen über die
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