Kochwut
einsehen, was Jansen ziemlich fuchsig machte, sodass er einfließen ließ, der Staatsanwalt könne durchaus den Tatbestand der Begünstigung feststellen. Sichtlich unwillig machte die Moderatorin dann genauere Angaben, wann Anatol gekommen und wieder gegangen war. Die Zeiten fügten sich nahtlos in die bisherigen Ermittlungen. Schließlich beendeten sie die Vernehmung, und die Diva rauschte davon, als ob man ihr Unrecht getan hätte.
»Und verrätst du mir jetzt auch, wie du auf diese Geschichte gekommen bist?«, fragte Angermüller seinen Kollegen, der grinsend vor ihm stand.
»Ich sage nur: Patricia«, fing der an. »Die hat mir gestern erzählt, dass sie Freitagnacht den jungen Mann aus dem Zimmer von der Blomberg hatte kommen sehen, in Boxershorts mit den Klamotten unterm Arm. Und als dieser Ernie vorhin von Anatols Tête-à-Tête in der Donnerstagnacht auf Güldenbrook erzählt hat, hab ich zwei und zwei zusammengezählt. So einfach ist das.«
Als sie endlich Feierabend machten, war der Sonntagabend schon angebrochen. Angermüller und Jansen störte das nicht. Sie rollten durch die Kälte Richtung Lübeck, im Wagen war es angenehm warm, und jeder hing seinen Gedanken nach. Sie waren mit sich und der Welt zufrieden. Für den nächsten Tag hatte ihr Chef sofort eine Pressekonferenz anberaumt. Vielleicht hatte bis dahin die Fahndung nach Anatol Kerbel ja auch schon zum Erfolg geführt.
Die Auswertung der Spuren ergab, dass Pierre Lebouton tatsächlich mit dem hart gefrorenen Tafelspitz niedergeschlagen worden war. Ein schweres Schädel-Hirn-Trauma war bei ihm diagnostiziert worden, weshalb man ihn für zehn Tage in ein künstliches Koma versetzt hatte. Doch die Ärzte waren optimistisch, dass er keine Schäden zurückbehalten würde. Seine Genesung schien schnelle Fortschritte zu machen. Nach drei Wochen konnten Angermüller und Jansen endlich mit ihm sprechen. Lebouton bestätigte bis ins Detail, was sie bisher über den Tathergang nur anhand von Indizien wussten. Auf die Frage, warum er ihnen nichts von dem Verdacht gegen Anatol erzählt hatte, meinte er nur, er hatte den Jungen nicht in Schwierigkeiten bringen wollen und wäre außerdem von seiner Unschuld überzeugt gewesen. Natürlich war seine persönliche Enttäuschung grenzenlos. Dass jemand, den er gefördert und geschätzt hatte, dem er jegliche Chance für eine glänzende Zukunft geboten hatte, ihn derart betrügen und belügen konnte, wollte er immer noch nicht begreifen. Wahrscheinlich würde diese Verletzung im Gegensatz zu seinen körperlichen nie ganz verheilen. Schließlich erkundigte er sich, ob Anatol denn gefasst worden sei. Diese Frage mussten die Beamten leider verneinen. Auch drei Wochen nach seiner Flucht fehlte von Anatol Kerbel trotz mittlerweile europaweiter Fahndung immer noch jede Spur.
Tauwetter
Wenn die Menschen im Norden Mitte Februar gedacht hatten, dies sei der eisige Tiefpunkt des Winters gewesen, so hatten sie sich geirrt. Es wurde immer kälter statt wärmer, an den Stränden der Lübecker Bucht türmten sich die Eisschollen, und es fehlte wirklich nicht viel, und man hätte zu Fuß von Travemünde nach Neustadt gehen können.
Auch am Tag von Steffens und Davids Hochzeit wehte ein steifer Nordostwind, der die Kälte durch sämtliche Kleiderschichten trug. Die Gäste waren froh, nach der Fotozeremonie vor der Lindischen Villa endlich ins Restaurant zu gelangen, wo die Tische in festlichem Blumenschmuck prangten und man bei angenehmen Temperaturen durch große Fenster den Blick auf die erstarrte Ostsee genießen konnte. Es war ein ziemlich düsterer Tag, mit grauen Wolkenwänden, die sich über den Himmel schoben und nur ab und zu die Sonne als weiße Scheibe dahinter frei gaben. Trotzdem hatte Angermüller viele schöne Erinnerungen daran.
Da Elizabeth und Georg die Trauzeugen waren, hatten Steffen und David sie auch zusammen an den Tisch gesetzt und Astrid kurzerhand einen anderen Tischherrn zugeordnet. In seinem neuen Anzug machte Georg eine ausgesprochen gute Figur und fühlte sich rundum wohl. Elizabeth hatte ihr Versprechen wahr gemacht: Sie hatten einen ganzen Nachmittag beim gemeinsamen Einkaufsbummel verbracht und waren Kaffee trinken gegangen. Im siebten oder achten Geschäft war Elizabeth endlich zufrieden, als er in einer eleganten anthrazitfarbenen Kombination aus der Kabine trat. Im Gegensatz zu sonst fand er diesen Einkauf völlig stressfrei. Sie hatten viel Spaß zusammen, und er hatte sich des
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