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KNOI (German Edition)

KNOI (German Edition)

Titel: KNOI (German Edition)
Autoren: David Schalko
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stehenbleiben.
    In voller Fahrt begann er, die Karte von Marie zu zeichnen. Sie lehnten sich in den Fahrtwind. Sie warfen sich Worte zu. Sie deuteten in die Landschaft. Sie rasten durch die Dörfer. Sie winkten den verschleierten Alten. Sie liefen durch verschonte Wälder. Badeten in schäumender Gischt. Lauschten den mächtigen Atemzügen des Meeres. Sie fanden eine kühle Kirche. Sie sagte, in der Kirche, da habe sie ihn eigentlich schon küssen wollen, aber es habe sich eben nicht richtig angefühlt. Nicht weil sie gläubig wäre, ein Glaube, in dem die Liebe keinen Platz finde, sei ohnehin ein falscher, nein, aber es hätte einem Kuss unter dem Altar sofort etwas Endgültiges innegewohnt, und mit dem Heiraten habe sie es immer ernst genommen, auch damals schon. Er sagte, er hätte zu diesem Zeitpunkt den Kuss vielleicht gar nicht erwidert, worauf sie lachte und sagte, welcher Mann erwidere irgendwann einen Kuss nicht. Das gelte auch für verheiratete Männer, was das Heiraten eindeutig zu einer weiblichen Angelegenheit mache, wobei ein nicht erwiderter Kuss seitens der Frau noch gar nichts bedeute, im Gegenteil, es sei ein gutes Zeichen, ja, ein Köder, sagte sie. Zumindest seien die Frauen immer dann am weiblichsten, wenn sie die Männer wie aufgeregte Fische um sich herumschwirren ließen, wie eine Eizelle, die seelenruhig auf die Spermien warte, eine Frau, die einem Mann hinterherlaufe, verliere sofort ihre Weiblichkeit,
Anziehungskraft
, das sei das Wort, sagte sie, auf jeden Fall, in der Kirche, da war diese Anziehungskraft, die diesen Moment durch die Anwesenheit einer schwerwiegenden Gottesfantasie sofort zu einer lebenslänglichen Entscheidung gemacht hätte. Damit verflog dieser Moment, der ohnehin nur sie gestreift habe, wenn man glauben dürfe, was er sage. Stattdessen habe er sich wahnsinnig aufgebludert in dieser Dorfkirche, monologisiert habe er sich von einem langweiligen Detail zum nächsten, keine Ahnung habe er gehabt, das habe sie natürlich sofort bemerkt. Aber irgendwie habe sie das gerührt, dass er ihr ausgerechnet in dieser lächerlichen Gottesbaracke imponieren wollte, und als er dann auch noch mit seinem Beruf angab, Autor von Reiseführern, wenigstens habe er nicht
Reiseschriftsteller
gesagt, das wäre wirklich fatal gewesen, das sei, wie wenn sich einer Lebenskünstler nenne, auf jeden Fall prahlte er damit, ständig in der Weltgeschichte unterwegs zu sein, da sei ihr klar geworden, dass da einer zu lange festgehalten worden sei. Am Festland. Vermutlich von der ewigen Liebe. Festgehalten und dann losgeeist. Ja,
losgeeist
, so habe er das ausgedrückt. Warum er damals solche Angst gehabt habe, könne sie beim besten Willen nicht verstehen. Sie, die gerade als Schauspielerin am Absprung gestanden sei, habe doch keinen Klotz am Bein gesucht. Sie war gekommen, um Abstand zu gewinnen, um die alten Rollen aus dem Körper zu winden, und habe sich bereits am Tag der Ankunft mit einem Mann am Strand wiedergefunden, der einfach nur Oh gesagt und dann ihre Hand gedrückt hatte und jetzt in einer Dorfkirche stand und ihr von seinem Vorhaben erzählte, einen universalen Reiseführer zu schreiben, einen Reiseführer, der überall gelte, an jedem Ort der Welt. Ob das denn ginge, wie er sich das vorstelle, fragte sie, und er sagte, er wisse es auch nicht, aber es gebe zwei Möglichkeiten, das in Erfahrung zu bringen. Entweder man fahre überallhin oder nirgendwohin. Dieses Vorhaben sei ausschließlich auf diese beiden Arten möglich. Überall oder nirgends. Und da er in den letzten Jahren von daheim nie weggekommen sei, habe er sich naturgemäß für das Überall entschieden.
    Da standen sie also vor dieser Kirche mitten im Überall, und das Motorrad sprang nicht an. Sie hatte gelacht, das wusste sie noch, und er sagte, das sei ihm noch nie passiert, und sie sagte, so sei das mit den Plänen, und er lächelte, und der Wind blies ihm durchs Haar, und er kam näher und küsste sie, nein, sie habe ihn geküsst, sagte er, aber da sei sie sicher, er habe den Schritt vom Motorrad weg gemacht, auf sie zu, und ab da sei es nicht mehr zu verhindern gewesen, da spiele es keine Rolle, wer wen als Erstes berührt habe. Er habe sie geküsst, und dann habe er davon gesprochen, dass man gemeinsam überallhin könne, schließlich seien sie frei. Dieser unfassbare Kitsch, den er da produzierte mit diesem Wind und dieser Kirche und diesem Motorrad, all das habe es ihr angetan, und das sei dann der Moment gewesen, auch
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