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Knochenkälte

Titel: Knochenkälte
Autoren: PeP eBooks
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leichenblass, wie ein Geist, der nie das Sonnenlicht erblickt hat.
    Sie schiebt sich auf mich zu. Ich weiche auf dem Hintern zurück, zerkratze mir die Handflächen an den Ästen und dem Müll, der im Schlamm festgefroren ist. Die Bestie braucht nur einen Schritt, um aufzuschließen.
    Auf den Ellbogen hochgestemmt, verharre ich wie vom Blitz getroffen und starre zu ihrem Kopf hoch, der über mir dräut.
    Das ist kein Mensch, sondern ein verstümmeltes Albtraumwesen wie aus einer Monstrositäten-Show. Das Gesicht ist schief wie die Reflexion in einem Zerrspiegel, mit einer Nase, die zu zwei langen Nüsternschlitzen zusammengekniffen ist, und einem Mund, der so weit von links nach rechts reicht, dass die Mundwinkel die abgeflachten, knorpeligen Ohrmuscheln berühren.
Auf der Stirn prangt eine große Beule, breite Brauen schlagen Bögen über den Augen.
    Diese Augen. Nicht mal ansatzweise menschlich sind sie, funkeln silbern im schwachen Licht, das von der Straße herunterscheint. Wie perfekte Kugelspiegel wölben sie sich unter den Brauen nach außen, so groß wie Basketbälle in dem riesigen weißen Kopf.
    Mir dreht sich der Magen um und mein Atem bahnt sich zitternd einen Weg nach draußen.
    Das Wesen beschnüffelt mich. Dampf quillt aus seinen Nüsternschlitzen, dann richtet es sich auf die Hinterbeine auf und zeigt sich in voller Größe. Über mir dräuend, reißt es das Maul zu einem ohrenbetäubenden Brüllen auf. Gerade als ich denke, mir platzen die Trommelfelle, verstummt es.
    Ich reiße die Hände hoch und presse mein Rückgrat tiefer in den Schlamm.
    Die Bestie fällt wieder auf alle viere und lässt dabei den Boden erzittern.
    Das passiert nicht. Es kann nicht wirklich sein.
    Das Wesen senkt den Kopf, und ich sehe mein Spiegelbild, winzig wie ein Insekt, in seinen silbrigen Riesenaugen.
    Dann reißt es wieder das Maul auf. Und ich sehe die Zähne.
    Wie zwei Reihen zwölf Zentimeter langer, schmaler Klingen blitzen sie auf, und je weiter das Maul sich öffnet, desto mehr Reihen sind zu sehen, eine hinter der anderen wölben sie sich seinem Schlund entgegen.
    Meine Arme mit den abwehrend hochgereckten Händen sind wie zu Eis erstarrt. Ich kann die Augen nicht schließen. Ich kann nicht mal blinzeln.

    Wie ein Albino-Aal schlängelt sich eine Zunge aus den Zahnreihen hervor, reckt sich aus dem Maul und pendelt direkt über mir hin und her. An der Spitze blitzt etwas auf, das wie der Stachel eines Skorpions aussieht.
    Mit einem Peitschenhieb schlägt mir die Zunge den Stachel in den Handrücken, so tief, dass ich das Gefühl habe, er müsste gleich auf der Handinnenfläche wieder rauskommen.
    Ein spitzer Schmerz schießt mir durch den Arm in die Brust, mit hundert eisigen Nadeln piekst er nach meinem Herzen.
    Ein grellweißer Blitz blendet mich.
    Und dann ist da nur noch tiefstes Schwarz.
     
    Meine Augen öffnen sich ins Nichts. Ich reiße sie auf, versuche verzweifelt, etwas zu erkennen. Als ich den Kopf bewege, schießt mir der Schmerz wie eine Messerklinge durch den Schädel.
    Aber als der Schmerz weicht, sehe ich etwas. Die Sichel des zunehmenden Mondes hängt über mir, weiß wie ein Zahn. Rechts und links von mir ragen Erdhänge gut anderthalb Meter hoch auf.
    Ein Grab! Ich liege in einem Grab und warte darauf, beerdigt zu werden! Ich bin tot!
    Ich hyperventiliere Dampfwolken in die Nachtluft hinaus. Dann bleibt mir der Atem in der Kehle stecken.
    Moment mal! Ich atme ja noch. Die frostige Luft schmeckt nach toten Blättern und Erde.
    Langsam und unter Schmerzen setze ich mich auf. Jetzt kann ich mehr von dem Licht sehen, das von der Straßenlaterne herüberscheint.

    Wie eine Flut kommt die Erinnerung zurück.
    Ich kauere mich auf die Knie und sehe mich hastig im Graben um. Ich bin allein. Irgendwie schaffe ich es, auf die Füße zu kommen.
    Ich atme ein paarmal tief durch, um mich zu wappnen, dann krauche ich zur Böschung hin. Ich suche in der Dunkelheit nach Halt für meine Hände, finde einen Wurzelknoten und ziehe mich daran hoch. Schließlich hieve ich mich über den Rand und lasse mich oben auf den Boden rollen.
    Als ich wieder auf den Beinen stehe, spähe ich durch die Nacht, bis ich den Jachthafen entdecke, dessen Lichter zwischen den Bäumen durchschimmern. Ich stürme los.
    Ich schaue weder nach links noch nach rechts, und nach hinten schon gar nicht. Meine Sohlen knacken durch vereiste Pfützen. Der unebene Boden versucht, mich zu Fall zu bringen.
    Da ist das Haus. Ganz nah.
    Zwanzig Meter
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