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Klotz, Der Tod Und Das Absurde

Titel: Klotz, Der Tod Und Das Absurde
Autoren: Christian Klier
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riss
eine Tür auf und verschwand. Nach wenigen Sekunden kam er zurück. An einem
Seil, das um ihre Arme gebunden war, zerrte er Haevernick aus der Tür und warf
sie auf den Boden. Der Raum hallte, als Haevernick aufschlug. Klotz konnte
sehen, wie ihr das Blut aus der Nase floss.
    »Zufrieden, Herr Hauptkommissar?«
    »Gut.«
    Zebisch war wieder bei Klotz. Er ging in die Knie. Sah seinem
Gegenüber in die Augen.
    »Glaubst du an die Erbsünde, Klotz?«
    Klotz antwortete nicht.
    »Es ist ganz einfach. Dein Vater hat damals den Obduktionsbericht
gefälscht, aber da erzähle ich dir vermutlich nichts Neues. Er hat es billigend
in Kauf genommen, dass ein Mord vertuscht wird. Und wofür? Für eine Karriere
als Gerichtsmediziner. Der große Doktor Klotz! Na, was sagst du dazu?«
    Klotz spürte, dass da etwas in ihm vollends zerbrach. Diese Ahnung,
die beinahe schon Gewissheit gewesen war, holte ihn jetzt ein. Der Vater.
Dieser übermächtige, makellose Vater. Dieses unerreichte Vorbild. In Klotz’
Seele bröckelte es. Ihm war hundeübel. Plötzlich schwappte eine Erinnerung in
sein Bewusstsein. Er musste sechzehn oder siebzehn gewesen sein. Nach der Schule
war er noch in der Buchhandlung gewesen. Von seinem gesparten Taschengeld hatte
er sich ein Buch gekauft: »Der Fänger im Roggen«. Als er abends am Küchentisch
las, kam der Vater herein. Sah das Buch, nahm es ihm aus der Hand, warf einen
Blick auf den Einband. Packte den Sohn am Arm, schrie ihn an. Das Buch hast
du doch gestohlen! Woher hast du das Geld für so was? Er war so geschockt gewesen, dass er nicht hatte
antworten können. Der Vater schlug ihm ins Gesicht. In diesem Moment hatte er
solch einen abgrundtiefen Hass gegen den Vater verspürt. Dieser Hass. Jetzt
spürte er ihn wieder. Der Versager bin nicht ich! Der Versager bist
du! Ich hasse dich!
    Klotz musste sich übergeben.
    Zebisch hatte ein kleines Etui hervorgeholt. Durch ein metallenes
Röhrchen zog er sich das Kokain in die Nase. Nachdem er das Etui zurück in
seine Hosentasche gesteckt hatte, nahm er die Pistole wieder in die Hand.
    Zebisch setzte die Mündung der Waffe auf Klotz’ Stirn. Klotz blickte
auf, sah ihm in die Augen. Sah in die Augen eines Verlorenen.
    Zebisch zog den Hahn der Pistole nach hinten. Es klickte.
    Er drückte ab.

2007

Epilog
    Es war der 18. Januar. Das Wetter war föhnig, die
Außentemperatur betrug zwölf Grad. Es war noch wärmer, wenn man in der Sonne
saß. Und das tat Klotz.
    Vorhin noch war er auf dem Friedhof gewesen. Hatte vor dem Grab
gestanden, in dem die sterblichen Überreste seines Vaters vor sich hin
moderten. Er hatte überlegt, ob er nicht vielleicht doch diesen Stein, diese
schwarze Marmorpyramide, Fröhling abkaufen und auf das Grab setzen sollte. Dann
hatte er gefunden, dass dieses weiße Quadrat mit den zwei Diagonalen, die den
Namen seines Vaters durchstrichen, völlig ausreichte. Das Friedhofsamt hatte
zwar angemahnt, dass man die Schmiererei von der Grabplatte entfernen müsse,
doch Klotz dachte nicht im Traum daran, diese Brandmarkung rückgängig zu
machen.
    Er hatte selbst nicht genau gewusst, was er sich von dem
Friedhofsbesuch erwartet hatte. Hatte er Zwiesprache halten wollen? Mit einem,
der verraten hatte, woran er zu Lebzeiten zu glauben vorgegeben hatte? Klotz
wusste es nicht. Er wusste nur, dass das noch nicht das Ende war zwischen Vater
und Sohn. Wahrscheinlich war es erst der Anfang. Der Beginn einer bitteren
Aufarbeitung, falls so etwas überhaupt möglich war. Und doch fühlte Klotz sich
irgendwie gelöster als früher, wenn er an seinen Vater dachte. Da ging ein
Schnitt, ein unmerklicher, postmortaler Venenschnitt zwischen Reinhard und
Werner Klotz hindurch. Und dieser Schnitt hatte etwas Befreiendes.
    Er dachte an Haevernick und empfand so etwas wie Bewunderung. Diese
Frau war doch wesentlich tougher, als er sich das gedacht hatte. Trotz der
körperlichen und seelischen Blessuren, die sie in der Silvesternacht hatte
erleiden müssen, war sie am 2. Januar wieder zum Dienst erschienen. Jeder
verdaut seine Traumata halt irgendwie anders, überlegte Klotz, dem noch eine
ganze Woche Urlaub bevorstand.
    Er sah hinunter, auf die Pegnitz. Genoss das Glitzern und Flimmern
auf den niedrigen Wellen und entspannte sich. Eine Zigarette wäre jetzt nicht
schlecht. Ihm fiel aber gleich wieder ein, dass er seit der Silvesternacht
nicht mehr rauchte. Vielleicht weil er es sich vorgenommen hatte, vielleicht
auch aus Respekt vor einem zweiten Leben, das
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