Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kleine Verhältnisse

Kleine Verhältnisse

Titel: Kleine Verhältnisse
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
Elends zu Mamas Lichtwelt emporgesandt. Als Hugo trotz aller Vorsicht Scharlach und Diphtherie bekam, fühlte sich Mama in ihren Angstvorstellungen nur bestätigt. Jetzt aber fragte sie spitz:
    »Was hast du bei fremden Menschen zu suchen?« Hugo, durch Mamas nervösen Ton verwirrt, vergaß die ganze Ordnung, die er sich vorgenommen hatte, und brachte alles durcheinander:
    »Erna hat ja ein schreckliches Unglück gehabt … Wer soll ihr helfen? … Sie selbst hat kein Geld mehr … Und ihre Mutter hat auch keines … Albert ist nämlich ein Erfnder und das kostet schon etwas, besonders wenn einer die Kinderlähmung in der Realschule bekommen hat und sich nicht rühren kann … Erna muß aber Geld haben, sonst geht es fürchterlich aus … und die Frau Seifert, mit der ihre Mutter sprechen will, tut gar nichts ohne Geld … Und da habe ich mir gedacht, ob du und Papa nicht helfen könnten … du … und Papa …«
    Verzweifelt stieß er diese letzten Worte hervor und erkannte, daß er seine Sache schlecht mache. Er erkannte dies auch an Mamas Augen und ihrer trockenen Art zu fragen:
    »Was für ein schreckliches Unglück hat denn Fräulein Erna gehabt?«
    »Ich weiß es nicht, Mama … Wie kann ich’s denn wissen? … Aber ich denke mir …«
    Immer unerbittlicher munterte ihn Mama zu neuen Bekenntnissen auf:
    »Nun, was denkst du dir?«
    Hugo wußte genau, daß er jetzt unaualtsam abrutsche. Aber er konnte es nicht mehr hemmen: »Ich denke mir, daß der Herr Oberleutnant Zelnik … oder der Herr Tittel … daran schuld sind … Ich weiß es ja nicht …«
    Ein Fehler, ein Verrat! Blut schoß dem Knaben zu Kopf und trübte sein Bewußtsein. Mit einem Mal befanden sich, durch Hugos Ungeschick hervorgezaubert, der Artillerieofzier und der Konzeptsbeamte in diesem nichtsahnenden Salon. Der kakaobraune Wafenrock und die kanariengelben Schnürstiefel, in den Silben der Namen Zelnik und Tittel enthalten, verdarben alles. Mama schien jetzt ruhiger und gleichgültiger sich zu erkundigen:
    »Der Herr Oberleutnant … Der Herr Tittel … Was sind denn das für prächtige Erscheinungen?« Hugo, der sich nicht mehr zu retten wußte, stammelte:
    »Das sind die Herren …, mit denen wir immer spazieren gegangen sind …«
    »Mit denen ihr immer spazieren gegangen seid …« Mama genoß den erstaunlichen Klang dieser Tatsache, ehe sie sich in ein langes und ironisches Schweigen zurückzog. Hugo aber biß die Zähne zusammen und stand auf:
    »Mama! Versprich mir, daß du der Erna helfen wirst!«
    Die Entgegnung ließ etwas auf sich warten, denn Mama entnahm der kleinen Golddose mit viel Umsicht eine Zigarette, ehe sie erklärte:
    »Ich verspreche es dir, Hugo!«
    Dann nach einem kaum fühlbaren Zögern: »Übrigens werde ich mich auch mit Papa beraten.« Hugo holte inbrünstig Atem:
    »Und versprich mir noch, ihr nie nie nie ein Wort davon zu sagen, daß wir beide miteinander geredet haben.«
    Nach langwierigen Zündungsversuchen brannte endlich die Zigarette:
    »Auch das verspreche ich dir, Hugo!«
    Mama liebte es, daheim weite und ein wenig individuelle Gewänder zu tragen. Heute war’s ein weißer Adasburnus. Sie wandte ihrem Sohn, der vor ihr stand, aufmerksam das von der weißen Seide verdunkelte Gesicht zu. In Hugo aber ging etwas Seltsames vor. Er hatte früher oft in liebevoller Stunde, oder wenn er etwas zu erschmeicheln hoe, für Mama ein Kosewort gefunden. Ein albernes Wort, das ›Flaus‹ hieß, ›Flausi‹, oder so ähnlich. Jetzt, in diesem Augenblick, wollte er seine Mutter wieder so nennen, bittfehend und danksagend zugleich. Aber, siehe, es war unmöglich, keine Stimme kam aus seinem Mund, er blieb stumm. Und in ein und derselben Sekunde fragte sich Mama: Er zittert für diese liederliche Person. Täte er’s auch für mich? Und eine wahre und wirkliche Eifersucht nahm bitter von ihr Besitz. Kleinlaut entschuldigte sich Hugo:
    »Es ist tatsächlich ein großes Unglück, Mama …! Erna hat gesagt, daß sie ins Wasser gehen muß … Sie hat es wirklich gesagt …«
    Aber Mama lachte leicht auf und meinte in einem herben und durchaus unpädagogischen Ton: »Das werden dir in deinem Leben noch viele erzählen, mein Sohn!«
    Am Abend – seine Eltern hatten eine lange Unterredung miteinander gehabt – wurde Hugo zu Papa in die Galerie gerufen. Der Vater stand vor dem Tisch chen mit der Münzensammlung und hielt dem Knaben ein uraltes Silberstück hin:
    »Sieh dir diese ganz seltene Münze an, Hugo! Ich habe sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher