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Kleine Suenden zum Dessert

Kleine Suenden zum Dessert

Titel: Kleine Suenden zum Dessert
Autoren: Clare Dowling
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zum Essen. Sie sagte, sie wolle uns ›offiziell‹ kennen lernen.« Michael verdrehte die Augen. »Sie und Gillian an einem Tisch - das kann was werden ...«
    Julia räusperte sich. »Wie geht es Gillian?«
    »Ganz gut. Sie hat den Dreh jetzt raus mit den Spritzen. Wenigstens fällt sie nicht mehr in Ohnmacht.« Wie das Schicksal es wollte, hatte Gillian sich, als sie an jenem Tag das Festivalgelände verließ, an einem Stacheldrahtzaun verletzt. Bei einer anschließenden Blutuntersuchung hatten sich Abnormalitäten herausgestellt, die nichts mit dem Stacheldraht zu tun hatten. Es wurden weitere Untersuchungen gemacht, und schließlich stellte sich nach fünfzehn Jahren irrationaler Ängste vor Krankheiten, lästiger Symptome und Fehldiagnosen heraus, dass Gillian an Diabetes litt.
    »Die Arzte können es immer noch nicht begreifen.« Michael schüttelte den Kopf. »Für gewöhnlich wird dieses Leiden bei Menschen ihres Alters durch Übergewicht und übermäßigen Süßigkeitenkonsum ausgelöst - aber Gillian hat Süßes nie gemocht.«
    »Ich nehme an, sie muss jetzt regelmäßig essen«, sagte Julia.
    »Alle drei Stunden - um den Blutzuckerspiegel konstant zu halten. Sie hat immer einen Wecker bei sich, damit sie es nicht vergisst und ins Koma fällt.«
    »Könnte das denn so ohne weiteres passieren?«
    »Wer weiß? Und sie hat auch zwei Mars-Riegel in der Handtasche, falls sie in eine Überschwemmung oder einen Hurrikan gerät oder in der chemischen Reinigung besonders lange in der Schlange warten muss.« Nach kurzem Überlegen fügte er hinzu: »Weißt du, was? Ich habe sie seit Jahren nicht so glücklich erlebt.«
    Julia nippte an ihrem Kakao und fragte dann: »Sie weiß nicht, dass du hier bist, stimmt‘s?«
    »Ähhh ...«
    »Ich möchte keine Missstimmung zwischen dir und Gilian auslösen, Michael.« Jedenfalls keine größere, als sie bereits ausgelöst hatte.
    »Das tust du nicht.«
    »Es ist nicht fair, hinter ihrem Rücken hierher zu kommen.«
    Nach dem Festival hatte er sich einen ganzen Monat nicht blicken lassen. Sie hatte sich schon gefragt, ob sie ihn wohl jemals wiedersehen würde, als sie eines Tages seinen Jeep halb versteckt hinter der großen Ulme an der Straße entdeckte. Es saß niemand drin. Sie dachte gerade, dass sie sich vielleicht geirrt hatte, als sie ihren Sohn gebückt durch den Garten schleichen sah. Amüsiert beobachtete sie, wie er auf ihren Öltank kletterte, ins Haus spähte und sich auf dem gleichen Weg wieder entfernte. In der folgenden Woche stahl er sich erneut durch den Garten. Diesmal mit einem Werkzeugkasten. Als sie hinausging, um ihn zur Rede zu stellen, fand sie ihn in einem der Einsteigschächte. »Was tust du da, Michael?«
    »Ich überprüfe die Fallrohre«, gestand er mit einem verlegenen Lächeln. »Und du musst für den kommenden Winter Heizöl zukaufen.«
    Danach kam er einmal in der Woche. Sie fragte sich, womit er Gillian seine regelmäßigen Ausflüge wohl erklärte. Mit Golf spielen, vielleicht.
    »Was soll ich denn machen?«, fragte er verstimmt. »Nicht mehr herkommen? Du bist dreiundsiebzig, um Himmels willen - und du bist meine Mutter!«
    »Das zählt nicht, Michael.«
    »Was?«
    »Ich möchte nicht, dass du etwas tust, weil du dich dazu verpflichtet fühlst, denn mit Verpflichtungen ist es so eine Sache. Sie können einen blockieren, daran hindern zu tun, was man tun möchte. Sie können einen aggressiv machen und dazu bringen, die Menschen zu vernachlässigen, die einem eigentlich am wichtigsten sind.«
    »Du hinderst mich an gar nichts«, protestierte er. Sie schaute in sein rundes, offenes Gesicht und suchte nach den richtigen Worten. Mein Gott, war das schwierig. Ihre Beziehung beinhaltete nicht, dass sie miteinander sprachen. Nicht im Sinne des Wortes.
    »Ach nein? Du sitzt hier bei einer alten Schachtel, während du eigentlich zu Hause bei deiner Frau und deiner Tochter sein solltest.«
    »Susan ist mit Charlie und Gavin ins Fernsehstudio gefahren, um sich Nick anzusehen. Du würdest nicht glauben, wie sie sich kostümiert hat!«
    Julia versuchte es noch einmal. »Dann solltest du bei Gillian sein.«
    »Gillian ist heute Abend bei ihrer Diabetes-Selbsthilfe-Gruppe. Die Zusammenkunft findet am selben Tag statt wie das Meeting der Tinnitusgruppe - ist das nicht Pech?«
    »Michael - ich versuche dir zu sagen, dass Gillian vielleicht Recht hatte. Vielleicht war ich tatsächlich nicht die beste Mutter der Welt.«
    Er schaute sie an. »Vielleicht war ich
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