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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe
Autoren: Silke Schuetze
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ich lieber mal diese exotische Ballsportart mit dir aus, Indi … Indi-irgendwas.«
    »Indiaca.«
    »Indiaca. Willst du das?«
    »Was?«
    »Willst du es mit mir noch einmal probieren?« Es ist klar, dass hier nicht von Indiaca die Rede ist. Andreas zieht mich in seine Arme. Für einen Augenblick fallen mir die Worte ein, mit denen er damals einen Schlussstrich unter unsere Scheidung gezogen hatte: »Du willst zu wenig.«
    Ich fühle sein Herz klopfen. Ich atme tief ein. Ich atme aus. Dies ist einer der Momente, in denen das Leben rund und vollkommen ist. In denen nichts und niemand fehlt.
    Ich sehe in seine Augen und sage: »Ja, ich will.«
    Andreas fummelt etwas aus seiner Hosentasche. Es ist das rote Seidenband, das ich ihm nach unserer Scheidung ins Portemonnaie gesteckt hatte. Er schlingt es um mein Handgelenk und macht einen Knoten. »Das gehört dir. Pass gut darauf auf.«
    Ich will ihn küssen, aber er hebt die Hand. »Sag mal, höre ich da Amélie?«
    In der Tat ist ein leises Rufen aus dem Kinderzimmer zu hören.
    Ich springe auf. »Normalerweise haben Mütter bessere Ohren als Väter.« Ich laufe nach nebenan.
    Amélie ist tatsächlich halbwach und streckt mir ihre Ärmchen entgegen. Die anderen Kinder schlafen tief. Schnell nehme ich sie aus ihrem Bettchen und bringe sie in mein Zimmer. »Jetzt haben wir also eine Long-Distance-Beziehung und zwei Kinder«, sagt Andreas, nachdem wir uns alle auf das Bett gekuschelt haben. »Hoffentlich haben wir da auch genug Zeit füreinander.«
    Mir kommt eine Idee. »Vielleicht sollten wir als Familie einen gemeinsamen Urlaub planen. Was hältst du von einem Ferienhaus in …« Mein Blick fällt auf den Bilderrahmen mit Mamas Lieblingsgedicht. Ich sehe weiße Segelboote auf dem blauen Meer und sage: »… in Griechenland? Vielleicht in der Nähe eines Hafens oder einer Bucht, damit man segeln kann?« Andreas lächelt.
    Wie konnte ich so lange Zeit ohne dieses Lächeln leben?
    Unten im Haus verstummt die Musik schlagartig. Vielstimmig wird das alte Jahr ausgezählt: »… fünf – vier – drei – zwei – eins!«
    Andreas zieht mich hoch und nimmt Amélie auf den Arm. Wir schauen aus dem Fenster des Schlafzimmers. Unten im Hof knallen die Böller, das bunte, gleißende Licht der Raketen und anderer Feuerwerkskörper leuchtet am schwarzen Nachthimmel.
    Es klopft an der Tür, Tina streckt den Kopf herein.
    »Ein gutes neues Jahr, ihr Turteltäubchen! Unten gibt es Sekt, habt ihr Lust?«

    Eine Stunde später haben alle angestoßen und hat jeder jeden umarmt. Die Kinder haben ihre Wunderkerzen abgebrannt, und der letzte Luftballon ist zertreten. Nach und nach verabschieden sich die Gäste. Sophie und Tom fahren Hedi nach Hause. Papa und die Unvermeidlichen wollen in der Kneipe beim Schachclub noch einen Absacker trinken. Am Ende bleiben nur noch Andreas, Tina und ich übrig. Und Amélie und Lisa-Marie, die seit dem großen Abschied der Partygäste beide wieder munter sind, aber im Spielzimmer selig in einer Höhle spielen, die die größeren Kinder gebaut haben.
    Wir sitzen in dem stillen Haus, trinken Wein und naschen Käse, den Tina im Kühlschrank gefunden hat. Auch sie scheint überhaupt nicht müde zu sein.
    Es ist kurz vor zwei. Amélie und Lisa-Marie sind in der Höhle eingeschlafen. Andreas erzählt Tina von unseren Urlaubsplänen, als es klingelt. »Ich geh schon!«, ruft Tina mit einer ungewöhnlich aufgeregten Stimme und eilt zur Tür.
    »Vielleicht hat jemand etwas vergessen?«, vermutet Andreas und blickt auf das Partychaos aus Luftschlangen, Gläsern, Flaschen und zertretenen Kartoffelchips, das wir erst morgen beseitigen wollen.
    Aber es sind völlig neue Gäste, die Tina mit rotem Kopf hereinführt.
    »Cheng!«, rufe ich überrascht, als ich den Chinesen wiedererkenne.
    Der verbeugt sich formvollendet, schüttelt Andreas die Hand und stellt seinen Begleiter vor: »Stanislaw.«
    Von Stanislaw ist auch heute nicht viel zu sehen – nach wie vor ist er eingemummelt in Mütze, Schal und Mantel. Unüberseh-und -hörbar ist jedoch sein Akkordeon. Tina stellt schnell zwei weitere Gläser auf den Tisch. »Ich hatte Cheng eingeladen – aber er musste die ganze Nacht über arbeiten.«
    Cheng verdreht die Augen. »Ich musste einer Delegation von business people aus China Silvester auf der Reeperbahn zeigen.«
    »Und Stanislaw?«, flüstere ich Tina zu, als ich sehe, wie der Musiker in rasendem Tempo drei große Gläser Wein hinunterstürzt.
    Tina sieht mich verlegen
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