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Kleine freie Männer

Kleine freie Männer

Titel: Kleine freie Männer
Autoren: Terry Pratchett
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war. Aber etwas anderes war im Wasser, nur wenige Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt.
    Tiffany sah einen runden Korb, nicht größer als eine halbe Kokosnussschale, mit etwas bestrichen, das die Löcher schloss und den Korb schwimmen ließ. Ein kleiner Mann, nur fünfzehn Zentimeter groß, stand darin. Er hatte zotteliges rotes Haar, in dem einige Federn, Perlen und Stoffstreifen steckten. Der rote Bart wirkte ebenso ungepflegt wie die Haare. Der Rest von ihm, der nicht mit blauen Tätowierungen verziert war, steckte unter einem kleinen Kilt. Der Mann schüttelte die Faust und rief:
    »Potz Blitz! Kratz die Kurve, Mädel! Hüte dich vor dem grünen Ungeheuer!«
    Und damit zog er an einer Schnur, die über die Seite des Bootes hinwegreichte. Ein zweiter kleiner rothaariger Mann tauchte auf und schnappte nach Luft.
    »Dies ist nicht der geeignete Zeitpunkt, um Fische zu fangen!«, sagte der erste Mann und holte den zweiten an Bord. »Das grüne Ungeheuer kommt!«
    »Potz Blitz!«, sagte der platschnasse Schwimmer. »Nichts wie weg!«
    Er griff nach einem sehr kleinen Ruder, bewegte es rasch vor und zurück. Das Boot entfernte sich schnell.
    »Entschuldigt bitte!«, rief Tiffany. »Seid ihr Feen?«
    Sie bekam keine Antwort. Das kleine runde Boot war bereits im Schilf verschwunden.
    Wahrscheinlich nicht, dachte Tiffany.
    Und dann, zu ihrem finsteren Entzücken, hörte sie ein Zischeln. Es wehte kein Wind, aber die Blätter der Erlen am Fluss begannen zu zittern und zu rascheln. Auch das Schilf bewegte sich. Es neigte sich nicht hin und her, sondern verschwamm. Alles verschwamm, als hätte etwas die Welt gepackt und schüttelte sie. Die Luft zischte. Leute flüsterten hinter geschlossenen Türen...
    Das Wasser begann zu sprudeln, direkt am Ufer. Es war dort nicht sehr tief - es hätte Tiffany nur bis zu den Knien gereicht -, aber plötzlich war es dunkler und grüner und sehr viel tiefer...
    Sie wich einige Schritte zurück, und eine Sekunde später stiegen lange, dürre Arme aus dem Wasser und griffen mit Klauenhänden dorthin, wo Tiffany eben noch gestanden hatte. Für einen Moment sah sie ein schmales Gesicht mit langen, spitzen Zähnen, riesigen runden Augen und nassem grünen Haar, wie Algenstränge, dann sank das Wesen in die Tiefe zurück.
    Als sich das Wasser über ihm schloss, lief Tiffany bereits am Ufer entlang zu dem kleinen Strand, wo Willwoll Froschpasteten machte. Sie riss den Jungen hoch, als aufsteigende Luftblasen um die Flussbiegung zogen. Wieder brodelte das Wasser, ein Geschöpf mit grünen Augen schoss nach oben, und Klauen bohrten sich in den Schlamm. Dann heulte das Wesen und sank ins Wasser zurück.
    »Will zur Toh-lett!«, schrie Willwoll.
    Tiffany schenkte ihm keine Beachtung. Nachdenklich beobachtete sie den Fluss.
    Ich fürchte mich gar nicht, dachte sie. Wie seltsam. Ich sollte mich fürchten, aber ich bin nur zornig. Ich meine, ich fühle die Furcht wie einen rot glühenden Ball, aber der Zorn lässt sie nicht nach draußen...
    »Will will will zur Toh-lett!«, schrie Willwoll.
    »Dann geh«, erwiderte Tiffany geistesabwesend. Noch immer rollten kleine Wellen ans Ufer.
    Es hatte keinen Sinn, jemandem davon zu erzählen. Wenn sie es gut meinten, würden alle einfach nur sagen: »Was hat das Kind doch für eine Phantasie.« Wenn sie es nicht gut meinten, würde es heißen: »Erzähl kein dummes Zeug!«
    Sie war noch immer zornig. Wie konnte es ein Ungeheuer wagen, im Fluss zu erscheinen? Erst recht ein so... so... lächerliches! Für wen hielt es sie?
    Dies ist Tiffany, auf dem Heimweg. Schauen wir zuerst auf ihre Stiefel. Sie sind groß und schwer, oft vom Vater repariert, und sie gehörten vor ihr mehreren Schwestern. Tiffany trägt drei Paar Socken, damit sie ihr nicht von den Füßen rutschen. Sie sind groß. Manchmal kommt sich Tiffany wie jemand vor, der nur Stiefel herumbewegt.
    Und dann ihr Kleid. Es hat vor ihr ebenfalls mehreren Schwestern gehört, und ihre Mutter hat es so oft gewaschen, dass eigentlich nichts mehr davon übrig sein dürfte.
    Aber Tiffany mag es. Es reicht ihr bis zu den Fußknöcheln, und von der ursprünglichen Farbe ist ein milchiges Blau übrig geblieben, die gleiche Farbe wie die der Schmetterlinge, die neben dem Weg in der Luft tanzen.
    Wir schauen uns jetzt Tiffanys Gesicht an: ein wenig rosarot mit braunen Augen und braunem Haar. Nichts Besonderes. Ihr Kopf mag jemandem, der sie beobachtet -zum Beispiel in einer Untertasse mit schwarzem Wasser -, etwas zu
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