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Klack: Roman (German Edition)

Klack: Roman (German Edition)

Titel: Klack: Roman (German Edition)
Autoren: Klaus Modick
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dürfe, nahmen sie wie auf Befehl Haltung an und setzten ihr schüchternes Lächeln auf.
    Klack.
    »Hast du jetzt auch schon einen eigenen Fotoapparat?«, staunte Herr Schulenberg anerkennend.
    »Hab ich eben auf dem Ostermarkt gewonnen«, strahlte ich. »Freie Auswahl.«
    »Donnerwetter«, sagte Herr Schulenberg, als hätte ich etwas Großartiges geleistet.
    »Wir haben noch nie etwas gewonnen«, sagte Frau Schulenberg etwas weinerlich, wenn nicht gar vorwurfsvoll.
    Herr Schulenberg tätschelte ihr den mageren Rücken. »Unsere neue Wohnung ist doch wie ein Hauptgewinn, Ilse«, sagte er. »Drei Zimmer, Küche, Bad –«
    »Sogar gefliest«, sagte sie.
    »Balkon –«
    »Westseite«, sagte sie und glaubte nun offensichtlich auch an den Hauptgewinn.
    »Günstige Miete. Bushaltestelle fast vor der Haustür. Was will man mehr? Es geht aufwärts.«
    »Das freut mich für Sie«, sagte ich artig. »Wissen Sie denn schon, wer jetzt hier einzieht?«
    Herr Schulenberg zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Kann man ja auch heutzutage keiner deutschen Familie mehr zumuten. Nach dem Krieg waren wir natürlich froh, ein Dach überm Kopf zu haben. Aber es ist eine Bruchbude.«
    »Meine Oma nennt es den Schandfleck«, sagte ich.
    »Ach ja?«, sagte Frau Schulenberg. »Das wussten wir gar nicht.« Es klang empört.
    »Ich muss jetzt zum Abendessen«, sagte ich. »Wiedersehen.«
    »Wiedersehen. Kriegen wir auch einen Abzug des Fotos?«
    Ich stutzte. Klar, man konnte ja sogar Abzüge machen. Tolle Sache. »Auf jeden Fall«, sagte ich.
    Schulenbergs haben nie einen Abzug bekommen, weil ich nie irgendeinen Abzug gemacht habe. Und der Schandfleck stand fast vier Monate leer, sei es, weil die Erbengemeinschaft sich wieder einmal nicht einig werden konnte, sei es, weil die Wohnungsnot so weit gelindert war, dass sich für die Bruchbude keine Mieter mehr fanden. Bis dann die Tinottis kamen. Aber das waren ja auch keine Deutschen.

    Vorm Abendessen setzte ich mich in mein Zimmer, um noch einmal die Lateinvokabeln für die morgige Klassenarbeit zu überfliegen. Mit der Kamera wollte ich meine Eltern überraschen, indem ich sie beim Abendessen fotografierte. Hanna würde sich winden.
    Plötzlich stand sie in meinem Zimmer, wie immer ohne anzuklopfen. In Zukunft würde ich abschließen müssen. Das tat sie manchmal auch.
    »Was sollte das vorhin auf dem Ostermarkt?«, zischte sie mich an.
    »Ach, nix. Hab nur ein Foto von dir gemacht.«
    »Womit denn? Du hast ja gar keinen Apparat.«
    »Hab ich doch.« Lässig deutete ich auf die Kamera, die ich am Halteriemen über eine Stuhllehne gehängt hatte.
    Hanna wurde knallrot und wollte danach greifen.
    »Finger weg!«
    »Und was willst du mit dem Foto anfangen?«, fragte sie nervös.
    »Tja«, grinste ich, »das muss ich mir noch mal ganz genau überlegen.«
    »Markus«, flötete sie, »ich geb dir die Bravo von letzter Woche. Da ist ein tolles Elvisfoto drin.«
    Die Bravo bekam Hanna immer von Sabine, wenn sie damit durch war, und wenn ich mich in Hannas Augen brav verhalten hatte, durfte ich das Heft anschließend lesen. In Hannas Zimmer hingen Bravo-Bilder von Rock Hudson und Horst Buchholz, und sie schwärmte für O. W. Fischer, gab das aber nicht zu, weil auch unsere Mutter eine Schwäche für ihn hatte. Neulich hatten unsere Eltern im Schauburg-Kino Es muss nicht immer Kaviar sein gesehen, mit O. W. Fischer, Eva Bartok und Senta Berger. Ganz entzückend und einfach hinreißend sei es gewesen, berichtete meine Mutter und meinte mit »es« natürlich O. W. Fischer. Senta Berger war zwar eine der Traumfrauen meiner einsamen Nächte, aber ich sparte mein Geld lieber für Die glorreichen Sieben auf, der laut Bravo demnächst auch in die deutschen Kinos kommen sollte.
    Hannas Verhandlungsangebot, mir für das Skandalfoto Sabines Bravo zur Drittverwertung zu überlassen, war natürlich nicht viel wert, weil es ihr gar nicht wehtat. Sie interessierte sich nämlich kaum noch für die Bravo und hatte neulich sogar die Bemerkung gemacht, das sei Kinderkram. Also schüttelte ich gelangweilt den Kopf.
    Sie überlegte. »Ich hab eine neue Platte von Buddy Holly«, sagte sie und legte dann eine Kunstpause ein. »Eine Langspiel platte! Mit fast allen Hits.«
    Treffer. Ich schluckte. Das war schon enorm. Mit seiner komischen Hornbrille sah Buddy Holly zwar wie der letzte Schulstreber aus, aber die Musik war knorke. Und sogar eine Langspielplatte. Wo hatte Hanna die denn her? Von einer Schmalztolle?
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