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Klack: Roman (German Edition)

Klack: Roman (German Edition)

Titel: Klack: Roman (German Edition)
Autoren: Klaus Modick
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Schnurzpiepe, das Angebot war ernst zu nehmen.
    »Ich überleg’s mir mal«, sagte ich gnädig.
    »Essen ist fertig«, rief meine Mutter aus der Küche.
    Und anschließend Tagesschau. Für den Nachrichtensprecher Karl-Heinz Köpcke schwärmte meine Mutter auch. Der sei seriös und charmant zugleich. Er kam ihr wohl wie eine Mischung aus Regierungsmitglied und O. W. Fischer vor. Leider hatte Karl-Heinz Köpcke mal wieder nichts Gutes zu vermelden. Amerikanische Truppen hätten versucht, auf der Karibikinsel Kuba zu landen, um das totalitäre Regime des kommunistischen Diktators Fidel Castro zu stürzen. In einem als Schweinebucht bezeichneten Küstenabschnitt sei es zu schweren Kämpfen gekommen und die amerikanische Invasion offenbar zurückgeschlagen worden.
    Ich kicherte. »Schweinebucht –«
    »Pst«, machte mein Vater.
    »Wo soll das bloß enden?«, seufzte meine Mutter.

3
Opas Beerdigung. 26. Juli 1961
    Das Datum ist Teil des Fotos, weil es an das Verschwinden der Generationen erinnert, an den Tod. Auf den Stufen vor der Friedhofskapelle steht die Familie eng zusammengerückt, damit alle aufs Bild passen. Als sei die Schwarz-Weiß-Fotografie eigens für Beerdigungen erfunden worden, tragen die Männer schwarze Anzüge über knitterfreien weißen Nyltesthemden, schwarze Krawatten und schwarze Hüte. Nur Onkel Ernst aus Dresden hat eine schwarze Schiebermütze aus Leder auf dem Kopf und Onkel Fritz sogar einen Zylinder – zu Omas Entsetzen den Zylinder ihres Mannes, der gleich zu Grabe getragen wird. Onkel Fritz hat nämlich manchmal einen merkwürdigen Humor, und den Zylinder nennt er Angströhre. Die Frauen in schwarzen Kleidern oder Kostümen, schwarzen Hüten, Hauben oder wie Oma einer Art verschlungenem Turban, an dem der Spitzenschleier befestigt ist, sodass ihr Gesicht wie ausradiert scheint.
    Was das Foto schwarz oder dunkelgrau festhält, war im grellen Sonnenlicht jenes Tages vielleicht dunkelblau oder braun, manches Weiße elfenbeinfarben oder auch nur hellbeige, und selbst die altmodische Eleganz der Nadelstreifen in Onkel Fritz’ Anzug sind der Kamera entgangen oder den Jahren in der klammen Lichtlosigkeit des Kartons zum Opfer gefallen. Zweifelsfrei schwarz-weiß ist nur Pastor Hinrichs, der neben Oma steht, als sei er nun in den Mittelpunkt der Familie gerückt. Er hat keinen Hut auf, und sein graues Haar strahlt weiß wie ein Heiligenschein, weiß wie das Beffchen überm schwarzen Talar. Schwarz und auf Hochglanz poliert schimmert auch der Lack unterm Mercedesstern des Leichenwagens, dessen Kühlerhaube ganz links im Anschnitt zu erkennen ist.
    Klack.
    Hast du die Kamera mit Absicht so gehalten, weil der Wagen dich fasziniert hat? Vielleicht wärest du gern mitgefahren, nicht als Leiche, sondern um dem zu entkommen, was kein Foto zeigen kann – das Geflecht aus Zwängen und Riten, das Knäuel von Konflikten und Verdrängungen und die Angst vor der kommenden Vernichtung. Diese Angst erzeugte die Paranoia des Kalten Kriegs, in der du aufgewachsen bist und in der Eltern und Großeltern, Pastoren und Lehrer dir ununterbrochen Vorwürfe machten, verwöhnt zu sein und nicht zu wissen, wie gut du es doch hattest.

    Wegen der Sirenen weiß ich noch die Uhrzeit, aber nicht mehr den Tag, an dem Opa starb. Es muss etwa eine Woche vor seiner Beerdigung gewesen sein, weil er noch für ein paar Tage im Beerdigungsinstitut aufgebahrt wurde. Mit der Beisetzung musste man warten, bis Onkel Ernst und Tante Grete aus der Zone angereist waren, und außerdem gehörte sich das mit der Aufbahrung einfach so. Zum Abschiednehmen. Der guten Ordnung halber. Und überhaupt. Opa lag jedenfalls mit gepuderter Glatze und wachsweißem Gesicht, auf dem ein müdes, leicht schmerzliches Lächeln eingefroren war, im offenen Eichensarg. Überm blütenweißen Totenhemd hatte man ihm die Hände gefaltet, obwohl er alles andere als fromm gewesen war und zu Omas Ärger nur einmal im Jahr an Weihnachten in die Kirche ging. Vor dem Sarg lagen Kränze, deren dunkelgrüne Blätter künstlich aussahen, weil sie wie Bakelit glänzten. Hinter dem Sarg hielten auf einer Empore kelchartige Blumen und Topfpflanzen Totenwache. Die Blüten wirkten bleich und durchsichtig, gläsern fast. Sie verströmten fast gar keinen Duft. Vielleicht atmeten sie aus Rücksicht auf den Toten nur noch ganz verhalten, sozusagen taktvoll. Taktvoll war nämlich eins von Omas Lieblingsworten, und vielleicht passten sich die Blumen deshalb einem Zustand an, den
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