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Kinsey Millhone 18 - Ausgespielt

Kinsey Millhone 18 - Ausgespielt

Titel: Kinsey Millhone 18 - Ausgespielt
Autoren: Sue Grafton
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gefragt, aber vielleicht war ich ja die einzige Besucherin, die an diesem Tag erwartet wurde. Die Wände im Flur waren mit einer Eichentäfelung versehen, und die weiße Stuckdecke war mit Ornamenten in Rauten- und Lilienform geschmückt.
    Sie führte mich in die Bibliothek, die ebenfalls mit Eichenholz getäfelt war. In Leder gebundene Bücher füllten die Regale, die vom Boden bis zur Decke reichten, wobei ein Messinggeländer mit einer Leiter auf Rollen den Zugang zu den oberen Bereichen ermöglichte. Der Raum roch nach trockenem Holz und modrigem Papier. Die Feuerstelle in dem gemauerten Kamin war so hoch, dass man darin hätte aufrecht stehen können, und das letzte Feuer hatte ein teilweise angekohltes Eichenscheit sowie den schwachen Geruch von Holzrauch zurückgelassen. Mr. Lafferty saß in einem von zwei identischen Ohrensesseln.
    Ich schätzte ihn auf über achtzig, ein Alter, das ich früher einmal für hoch gehalten hatte. Doch seit geraumer Zeit ist mir klar geworden, wie unterschiedlich sich der Alterungsprozess gestalten kann. Mein Vermieter ist siebenundachtzig und damit das Küken in seiner Familie, da das Alter seiner Geschwister bis sechsundneunzig reicht. Alle fünf sind lebhaft, intelligent, abenteuerlustig, ehrgeizig und neigen zu gutmütigen Kabbeleien untereinander. Mr. Lafferty dagegen machte den Eindruck, als sei er schon seit gut zwanzig Jahren alt. Er war unglaublich dünn, und seine Knie wirkten so knochig wie zwei Ellbogen am falschen Platz. Wenigstens waren seine einst scharf geschnittenen Gesichtszüge durch die Jahre etwas weicher geworden. Zwei dünne, durchsichtige Plastikschläuche steckten unauffällig in seinen Nasenlöchern und verbanden ihn mit einem wuchtigen grünen Sauerstoffbehälter auf einem Wagen zu seiner Linken. Sein Kiefer war auf einer Seite eingefallen, und ein flammend roter Streifen, der quer über seinen Hals verlief, wies auf einen chirurgischen Eingriff der brutalen Art hin.
    Er musterte mich mit Augen, die so dunkel und glänzend waren wie zwei Tupfen brauner Siegellack. »Freut mich, dass Sie gekommen sind, Ms. Millhone. Ich bin Nord Lafferty«, sagte er und hielt mir eine von knotigen Venen gezeichnete Hand hin. Seine Stimme war heiser und kaum lauter als ein Flüstern.
    »Schön, Sie kennen zu lernen«, murmelte ich und trat vor, um ihm die Hand zu schütteln. Seine Hände waren bleich, die Finger zitterten sichtlich und waren eiskalt.
    Er gestikulierte. »Ziehen Sie sich doch den Stuhl da heran. Ich bin vor einem Monat an der Schilddrüse operiert worden, und kürzlich musste ich mir noch ein paar Polypen von den Stimmbändern entfernen lassen. Seitdem verfüge ich nur noch über dieses Krächzen, das sich eine Stimme schimpft. Weh tut es nicht, aber es ist lästig. Tut mir Leid, wenn ich schwer zu verstehen bin.«
    »Bis jetzt habe ich kein Problem damit.«
    »Gut. Möchten Sie eine Tasse Tee? Ich kann meine Haushälterin eine Kanne voll machen lassen, aber einschenken müssen Sie ihn sich leider selbst. Mittlerweile sind ihre Hände nicht mehr ruhiger als meine.«
    »Danke, aber ich möchte nichts.« Ich zog den zweiten Ohrensessel näher heran und setzte mich. »Wann ist das Haus hier gebaut worden? Es ist wirklich schön.«
    »1893. Ein Mann namens Mueller hat dem Landkreis Santa Teresa ein Zweihundertsechzig-Hektar-Grundstück abgekauft. Davon sind noch achtundzwanzig Hektar übrig. Die Bauarbeiten an dem Haus haben sechs Jahre gedauert, und Gerüchten zufolge ist Mueller an dem Tag gestorben, als die Arbeiter das Werkzeug weggelegt haben. Seit damals ist es den Bewohnern nicht besonders gut ergangen... abgesehen von mir, toi, toi, toi. Ich habe das Anwesen 1929 gekauft, direkt nach dem Börsenkrach. Der Mann, dem es zuvor gehört hat, hatte alles verloren. Er ist in die Stadt gefahren, auf den Glockenturm gestiegen und hat sich runtergestürzt. Die Witwe brauchte das Geld, also habe ich zugegriffen. Natürlich hat man mich dafür kritisiert. Man hat behauptet, ich hätte meinen Vorteil daraus geschlagen, aber ich habe mich gleich auf den ersten Blick in das Haus verliebt. Irgendjemand hätte es auf jeden Fall gekauft. Dann schon lieber ich als ein anderer. Ich hatte das Geld für den Unterhalt, und das traf damals nicht auf viele Leute zu.«
    »Da haben Sie wirklich Glück gehabt.«
    »Allerdings. Ich habe mein Vermögen mit Papierwaren gemacht — nur für den Fall, dass Sie neugierig sind, aber zu höflich, um zu fragen.«
    Ich lächelte.
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