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Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist

Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist

Titel: Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist
Autoren: Sue Grafton
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weil sie vor den rauen nördlichen Wintern fliehen. Dort draußen bin ich aufgewachsen. Meine Mutter wohnt noch da, soviel ich weiß. Die Lebensbedingungen sind sehr primitiv — kein Wasser, keine Kanalisation, keinerlei Infrastruktur, aber es kostet nichts. Die Schneeammer hausen wie Zigeuner; manche in teuren Wohnmobilen, manche in Hütten aus Pappe. Im Frühling verschwinden die meisten wieder und ziehen nach Norden. Meine Mutter gehört zu den wenigen ständigen Bewohnern, aber ich habe seit Monaten nichts mehr von ihr gehört. Sie hat kein Telefon und keine Adresse, an die man ihr schreiben könnte. Ich mache mir Sorgen um sie und möchte, dass jemand hinunterfährt und nachsieht, ob es ihr gut geht.«
    »Wie oft meldet sie sich gewöhnlich?«
    »Früher regelmäßig einmal im Monat. Sie fährt per Anhalter in die Stadt und ruft aus einem kleinen Café in Niland an. Manchmal auch aus Brawley oder Westmorland, das hängt davon ab, wohin sie mitgenommen wird. Wir reden. Sie kauft ein, was sie braucht, und fährt dann per Anhalter wieder zurück.«
    »Hat sie ein Einkommen? Eine Sozialversicherung?«
    Mrs. Gersh schüttelte den Kopf. »Nur die Schecks, die ich ihr schicke. Ich glaube nicht, dass sie je eine Sozialversicherungskarte hatte. So weit ich mich erinnere, hat sie uns beide immer mit Heimarbeit durchgebracht und ihr Geld bar auf die Hand bekommen. Sie ist jetzt dreiundachtzig und arbeitet natürlich nicht mehr.«
    »Wie bekommt sie Post, wenn sie keine Adresse hat?«
    »Sie hat ein Schließfach. Oder hatte auf jeden Fall eins.«
    »Was ist mit den Schecks? Hat sie sie eingelöst?«
    »Wahrscheinlich nicht. Die Beträge sind von meinem Konto nicht abgebucht worden. Das hat mich zuallererst misstrauisch gemacht. Sie braucht doch Geld für Lebensmittel und alles andere.«
    »Wann haben Sie das letzte Mal von ihr gehört?«
    »Weihnachten. Ich hatte ihr ein bisschen Geld geschickt, und sie rief mich an, um sich zu bedanken. Es sei alles in Ordnung, sagte sie, aber um ehrlich zu sein, sie hörte sich nicht besonders gut an. Sie trinkt manchmal.«
    »Was ist mit den Nachbarn? Gibt es eine Möglichkeit, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen?«
    Irene Gersh schüttelte wieder den Kopf. »Dort hat niemand ein Telefon. Sie können sich nicht vorstellen, wie primitiv die Verhältnisse da draußen sind. Die Leute müssen ihren Müll selbst zur städtischen Müllhalde bringen. Das Einzige, was die Stadt zur Verfügung stellt, ist ein Schulbus für die Kinder, und selbst darüber gibt es Beschwerden von der Bevölkerung.«
    »Wie steht es mit der Ortspolizei? Könnte man sich vielleicht über sie mit Ihrer Mutter in Verbindung setzen?«
    »Davor bin ich bisher noch zurückgeschreckt. Meine Mutter hütet ihre Privatsphäre geradezu eifersüchtig. Das ist schon fast ein Tick von ihr. Sie wäre wütend, wenn ich mich an die Behörden wenden würde.«
    »Sie haben sechs Monate gewartet, das ist eine lange Zeit.«
    Ihre Wangen röteten sich leicht. »Das ist mir klar, aber ich dachte immer, ich würde bald von ihr hören. Offen gesagt, wollte ich mich nicht ihrem Zorn aussetzen. Ich warne Sie, sie ist ein Ekel, besonders wenn sie wütend ist. Sie ist sehr auf ihre Unabhängigkeit bedacht.«
    Ich durchdachte die Situation, überlegte mir die Möglichkeiten. »Sie sagen, sie hat keine feste Adresse. Wie finde ich sie?«
    Sie griff nach unten und holte unter der Chaiselongue eine lederne Schmuckschatulle hervor, der sie ein kleines Kuvert und ein paar Polaroidfotos entnahm. »Das ist ihre letzte Nachricht. Und das sind ein paar Bilder, die ich gemacht habe, als ich das letzte Mal dort war. In diesem Caravan lebt sie. Von ihr selbst habe ich leider kein Foto.«
    Ich warf einen Blick auf die Bilder, die einen altehrwürdigen, einfarbig blau gestrichenen Wohnwagen zeigten. »Wann wurde das aufgenommen?«
    »Vor drei Jahren. Kurz bevor Clyde und ich hierherzogen. Ich kann Ihnen einen Plan vom Standplatz des Wohnwagens zeichnen und garantiere Ihnen, dass er noch da ist. Wenn jemand in den Slabs ein Stück Land >besiedelt< hat — und wenn es nur ein drei mal drei Meter großes Stück zubetonierte Erde ist — , rührt er sich nicht mehr weg. Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr Menschen an einem Streifen unfruchtbaren Bodens und ein paar mickrigen Sträuchern hängen können. Sie heißt übrigens Agnes Grey.«
    »Sie haben überhaupt kein Bild von ihr?«
    »Leider nein, aber dort kennt sie jeder. Ich glaube nicht, dass es
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