Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinsey Millhone 02- In aller Stille

Kinsey Millhone 02- In aller Stille

Titel: Kinsey Millhone 02- In aller Stille
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
Duplikat von Tillies Apartment darunter. Ich ging durch einen kleinen Korridor und warf einen Blick zu meiner Rechten in ein kleines Bad mit einem Waschbecken, das wie eine versenkte Marmormuschel geformt war, und vergoldeten Armaturen und goldgepunkteten Spiegelkacheln an einer Wand. Der kleine geflochtene Papierkorb unter dem Waschbecken war leer bis auf ein feines, graubraunes Haarbüschel, das an einer Seite hängengeblieben war, wie ein kleiner Haarknäuel, der entsteht, wenn man eine Bürste säubert.
    Dem Badezimmer gegenüber befand sich ein kleiner Raum, in dem ein Schreibtisch, ein Fernseher, ein Sessel und eine Liege standen. Die Schreibtischschubladen enthielten das übliche Sortiment von Kugelschreibern, Büroklammern, Notizzetteln und Mappen. Im Moment sah ich keinen Anlaß, diese Sachen genauer zu untersuchen. Zufällig sah ich ihren Sozialversicherungsausweis und notierte mir ihre Mitgliedsnummer. Dann verließ ich den kleinen Raum und ging in das große Schlafzimmer, an das ein Bad grenzte.
    Durch die zugezogenen Vorhänge wirkte das Schlafzimmer düster, aber auch hier schien alles in Ordnung zu sein. Auf der rechten Seite befand sich ein begehbarer Wandschrank, der groß genug war, um ihn unterzuvermieten. Einige der Kleiderbügel waren leer, und in den Sachen, die auf den Regalbrettern gestapelt waren, konnte ich Lücken entdecken, wo sie vermutlich etwas eingepackt hatte. In einer Ecke war noch ein kleiner Koffer verstaut, eines dieser teuren Designermodelle, auf denen in Schnörkelschrift ein fremder Name steht.
    Wahllos durchsuchte ich Wäscheschubladen. In einigen befanden sich noch Wollpullover in den Plastiktaschen einer chemischen Reinigung. Andere waren bis auf ein oder zwei zurückgelassene Duftkissen leer. Unterwäsche. Etwas Modeschmuck.
    Das große Bad war geräumig und ordentlich, und das Medizinschränkchen war ausgeräumt, mit Ausnahme einiger Reste, die das Verfallsdatum überschritten hatten. Ich ging zur Tür zurück, blieb einen Moment lang stehen und betrachtete das Schlafzimmer. Nichts wies hin auf ein Verbrechen oder ein übereiltes Verschwinden, einen Einbruch, Vandalismus, Krankheit, Selbstmord, Trunkenheit, Drogenmißbrauch, geistige Verwirrtheit oder einen kürzlichen Besucher. Sogar die feine Schicht Hausstaub auf den glänzenden Oberflächen der Möbel schien unberührt zu sein.
    Ich ging und verschloß die Tür hinter mir. Ich fuhr mit dem Aufzug runter zu Tillie und fragte sie, ob sie ein Foto von Elaine habe.
    »Nicht daß ich wüßte«, meinte sie, »aber ich kann sie Ihnen beschreiben, wenn Sie möchten. Sie ist ungefähr so groß wie ich, das heißt so ein Meter achtundsechzig, und zirka hundertundzwanzig Pfund schwer. Sie hat blondgesträhnte Haare, die sie hinter die Ohren kämmt. Blaue Augen.« Tillie hielt inne. »Oh, warten Sie, vielleicht habe ich doch ein Foto. Mir fällt gerade eins ein. Einen Moment.«
    Sie verschwand Richtung Kammer und kam kurz darauf mit einem Polaroid-Schnappschuß wieder, den sie mir gab. Das Foto hatte einen Stich ins Orange und fühlte sich klebrig an. Die Aufnahme war aus ungefähr zwanzig Metern Entfernung gemacht worden und zeigte zwei in einem Hof stehende Frauen in voller Größe. Sofort tippte ich darauf, daß die linke Elaine sein mußte, glücklich lächelnd, herausgeputzt und elegant, in einer gut geschnittenen Leinenhose. Die andere Frau war mollig um die Hüften, trug ein Brillengestell aus Plastik und eine Frisur, die aussah, als könnte sie unversehrt abgenommen werden. Sie schien Mitte Vierzig zu sein und blinzelte verlegen in die Sonne.
    »Das wurde im letzten Herbst aufgenommen«, sagte Tillie. »Die Frau links ist Elaine.«
    »Wer ist die andere Frau?«
    »Marty Grice, eine unserer Nachbarinnen. Also, das ist eine schreckliche Geschichte. Sie starb... oh, Mensch, ich glaube schon vor sechs Monaten. Mir kommt es noch gar nicht so lange vor.«
    »Was ist ihr zugestoßen?«
    »Tja, man glaubt, sie hat einen Einbrecher überrascht. Ich nehme an, er brachte sie auf der Stelle um und versuchte dann, das Haus niederzubrennen, um alles zu vertuschen. Es war grauenhaft. Vielleicht haben Sie etwas darüber in der Zeitung
    gelesen.«
    Ich schüttelte den Kopf. Es gibt oft Zeiten, in denen ich überhaupt keine Zeitung lese, aber mir fiel das Nachbarhaus mit seinem verkohlten Dach und den herausgebrochenen Fenstern ein. »Das tut mir leid«, sagte ich. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich das Foto vorläufig behalte?«
    »Nein,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher