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Kinderfrei

Kinderfrei

Titel: Kinderfrei
Autoren: Nicole Huber
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lässt sich das durch den Tannenbaum dargestellte Verhältnis von Jung zu Alt schlicht und ergreifend nicht aufrechterhalten. Je mehr junge Menschen es in der Bevölkerung gibt, desto mehr Alte wird diese Bevölkerung in Zukunft zu versorgen haben, wenn die Jungen das Rentenalter erreichen. Um den Anteil der Rentner an der Bevölkerung stabil zu halten, müssen wieder mehr Kinder geboren werden, die dann später die Anzahl der Rentner entsprechend erhöhen, sodass noch mehr Kinder geboren werden müssen, usw. und so fort in einer unendlichen Spirale. Die gleiche Dynamik ergäbe sich, wenn man die Tannenbäumchen-Struktur nicht durch Geburten, sondern durch Zuwanderung aufrechterhalten wollte. Auch Einwanderer altern und werden zu Rentnern, denn sie werden wohl kaum freundlicherweise mit Eintritt ins Rentenalter in ihre Herkunftsländer zurückkehren und auf ihre hier erworbenen Rentenansprüche verzichten. Egal, ob man versucht, den Anteil der Rentner an der Bevölkerung durch Zuwanderung oder Geburten gering zu halten, die Folge ist in jedem Fall eine Bevölkerungsexplosion, die weder wirtschaftlich noch ökologisch tragbar ist.
    Ebenso falsch ist die Behauptung, dass immer weniger Junge für immer mehr Alte sorgen müssten. Damit wird geflissentlich die Tatsache verschleiert, dass ein Großteil der »Jungen«, nämlich Kinder und Jugendliche, keine Leistungen erbringen, sondern im Gegenteil Kosten verursachen – z. B. für Gesundheitsversorgung, Kindergärten und Schulen, einschließlich des benötigten Personals. Es sind also keinesfalls die Jungen, die für die Alten sorgen müssen, vielmehr muss die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (meist definiert als Altersgruppe von 20–60 Jahre) die Alten und die Jungen versorgen. Deshalb ist zu berücksichtigen, dass gemäß den Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung der Altenquotient (die Anzahl der Alten, die auf 100 Menschen im erwerbsfähigen Alter kommen) zwar zwischen 2030 und 2050 in der Tat deutlich ansteigen wird, bevor er durch das Versterben der Baby-Boomer-Generation wieder stark abfällt, dass sich jedoch gleichzeitig der Jugendquotient (die Anzahl der Jungen, die auf 100 Menschen im erwerbsfähigen Alter kommen) reduziert. Daraus ergibt sich, dass die Gesamtbelastung der erwerbsfähigen Bevölkerung (der Gesamtquotient) bei Weitem nicht so dramatisch ansteigt, wie behauptet wird. Auf hundert Menschen im erwerbsfähigen Alter kommen:
Jahr
Alte
Junge
Gesamt
2001
44
38
82
2050
78
34
112
    Während somit der Altenquotient um 77% steigt, ergibt sich für den Gesamtquotienten nur ein Plus von 37% – ein im wahrsten Sinne des Wortes nur halb so dramatischer Anstieg. 122
› Hinweis
    Wem dies dennoch allzu besorgniserregend erscheint, dem kann vielleicht mit einem Blick in die Vergangenheit geholfen werden. Ein hoher Gesamtquotient war in der Geschichte der Bundesrepublik eher die Regel als die Ausnahme – ohne negative Auswirkungen auf den wirtschaftlichen Erfolg oder die sozialen Sicherungssysteme. Den höchsten Gesamtquotienten verzeichnete Deutschland um 1970 herum: Auf 100 Erwerbsfähige kamen 60 Junge und 40 Alte, insgesamt also 100 Personen im nicht erwerbsfähigen Alter. Der prognostizierte Anstieg der zu Versorgenden bis 2050 macht also nur 12% gegenüber 1970 aus.
    Die demografische Situation Anfang der 1970er-Jahre – mit einem weit ungünstigeren Belastungsquotienten als heute und in den kommenden zwanzig Jahren – konnte die Bundesrepublik nicht daran hindern, eine expansive Bildungspolitik für die junge Generation auf die politische Agenda zu setzen. Und 1972 wurde eine Rentenreform auf den Weg gebracht, in der unter anderem auch Leistungsverbesserungen beschlossen wurden. Nicht zuletzt bestand zu dieser Zeit die Möglichkeit für viele Selbstständige, sich sehr günstig in die gesetzliche Rentenversicherung einzukaufen. 123
› Hinweis
Seltsamerweise waren all diese teuren Maßnahmen finanzierbar. Lassen Sie sich also nicht einreden, dass der Abbau von Sozialleistungen aufgrund der demografischen Situation unverzichtbar sei, und schon gar nicht, dass die Kinderfreien an dieser Misere schuld sind.
    Zudem spiegelt der Belastungsquotient in dieser Form ohnehin nicht die reale Situation wider. In der Altersgruppe der Erwerbsfähigen gibt es zahlreiche Menschen, die nicht arbeiten, z. B. Hausfrauen, Studenten, Arbeitslose und Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht oder nur eingeschränkt arbeitsfähig sind. Entscheidend ist mithin
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