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Kinder des Wassermanns

Kinder des Wassermanns

Titel: Kinder des Wassermanns
Autoren: Poul Anderson
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Liebster?“
    Er drehte sich um und erblickte sie. Seine Gefährten erkannte er nur noch als verwischte Gestalten in der Dunkelheit, aber sie, die durch die Binsen an Land stieg, sah er ganz deutlich. Ihr nackter Körper und das offene Haar waren hell, ihre Augen groß und glänzend. Sie näherte sich ihm mit ausgebreiteten Armen.
    „Jesus und Maria, steht uns bei“, ächzte Drazha hinter ihm. „Es ist die Vilja!“
    „Mihajlo“, bat sie leise, „Mihajlo, verzeih mir, ich versuche ja, mich zu erinnern, ganz bestimmt.“
    Irgendwie brachte er es fertig, sich ihr im Dämmerlicht am feuchten Seeufer entgegenzustellen. „Wer bist du?“ rang es sich durch das Erdbeben in seiner Brust. „Was willst du von mir?“
    „Die Vilja“, jammerte Sisko. „Dämon, Geist! Betet sie weg, Männer, bevor sie uns in ihre wässrige Hölle hinunterzieht.“
    Mihajlo schlug das Kreuz, machte die Knie steif, sah das Wesen gerade an und befahl: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes …“
    Ehe er sagen konnte: „Hebe dich hinweg!“, war sie so dicht bei ihm, daß er ihre feingeschnittenen Gesichtszüge erkennen konnte.
    „Mihajlo“, flehte sie, „bist du es? Es tut mir leid, wenn ich dir weh getan habe …“
    „Nada!“ rief er.
    Sie blieb stehen. „War ich Nada?“ fragte sie ihn verwirrt. Nach einer Weile setzte sie hinzu: „Ja, ich glaube, ich war es. Und sicher warst du Mihajlo …“ Sie lächelte. „Das heißt, du bist es. Ich habe dich hierher zu mir gebracht, nicht wahr, Mihajlo, mein Liebster?“
    Er schrie auf, fuhr herum und lief davon. Seine Männer flohen ebenfalls, in allen Richtungen hinein in die Dunkelheit. Die Pferde gingen durch.
    Als der Lärm verstummt war, stand Nada, die Vilja, allein. Weitere Sterne waren erwacht. Das letzte Nachglühen des Sonnenuntergangs war verschwunden, aber im Westen war der Himmel noch bleich. Diese verschiedenen Lichter schimmerten auf dem See, und er gab sie an sie weiter, bis sie eine schlanke Biegung, eine weiße Welle, ein Glitzern von Tränen war. „Mihajlo“, sagte sie. „Bitte.“
    Dann vergaß sie es, lachte und glitt in den Wald.
    Die Jäger langten einzeln, aber sicher zu Hause an. Was Sisko und Drazha zu erzählen hatten, ließ die Leute noch mehr als früher vor dem wilden Wald auf der Hut sein. Mihajlo berichtete nicht mehr, als er mußte. Andere merkten bald, daß er nicht mehr der fröhliche Jüngling von ehedem war. Er verbrachte viel Zeit mit dem Burgkaplan und später mit seinem Beichtvater in Schibenik. Im Jahr darauf trat er in ein Kloster ein. Sein Vater, der Zhupan, war darüber alles andere als glücklich.

 
Erstes Buch
Der Krake
     
1
     
    Der Bischof von Viborg bekam Magnus Gregersen als neuen Erzdiakon. Dieser Mann war gelehrter als die meisten; er hatte in Paris studiert, und er war aufrecht und fromm. Aber die Leute fanden ihn zu streng und sagten, sie sähen ihn ebenso ungern kommen – ihn mit seiner langen, dünnen Gestalt und seinem langen, sauren Gesicht –, wie sie jede andere schwarze Krähe in ihren Feldern sähen. Der Bischof meinte, ein Mann wie dieser werde gebraucht, denn in den Jahren des Aufruhrs, der nach König Waidemars des Siegreichen Tod Dänemark verwüstete, war Laschheit eingerissen.
    Auf seinem Ritt entlang der östlichen Küste von Jütland, die er als kirchlicher Profos unternahm, kam Magnus auch nach Alsen, womit nicht die Insel, sondern ein Dörfchen gleichen Namens gemeint ist. Es war arm und einsam, hatte tiefe Wälder hinter sich und die Sümpfe von Kongerslev im Norden. Nur zwei Straßen führten dorthin, eine über den Strand und die andere, die sich in südwestlicher Richtung auf Hadsund zuwand. Jedes Jahr im September und Oktober schlossen sich die Fischer des Dorfes den Hunderten an, die im Sund ihre Netze auswarfen, wenn der Hering zog. Ansonsten sahen die Bewohner wenig von der Außenwelt. Sie zogen ihre Netze durch das Wasser und bestellten ihre mageren Äcker, und sie starben an der Erschöpfung und legten ihre Gebeine hinter der kleinen Holzkirche zur Ruhe. In Orten wie diesen wurden immer noch viele alte Bräuche befolgt. Magnus hielt sie für heidnisch und beklagte, daß es kein einfaches Mittel gab, mit ihnen aufzuräumen.
    So wuchs sein fehlgeleiteter Eifer auf das Doppelte, als er gewisse Gerüchte über Alsen hörte. Niemand dort wollte ihm sagen, was seit jenem Tag vor vierzehn Jahren geschehen sei, als Agnete aus dem Meer zurückkam. Magnus nahm sich den Priester
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