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Kinder des Wassermanns

Titel: Kinder des Wassermanns
Autoren: Poul Anderson
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in ziemlich festem Ton.
    Magnus hob die Arme. Auch er weinte, aber des Wunders wegen. »Sehet, ein Wunder!« rief er. »Ich danke Dir, allmächtiger Gott, daß Du mich, den elendsten aller Sünder, zum Zeugen dieses Zeichens Deiner unendlichen Gnade gemacht hast.« Er wandte sich an die Versammelten. »Kniet nieder! Lobpreist Ihn! Lobpreist Ihn!«
    Später, als er mit Knud allein war, erklärte er, ruhiger geworden: »Der Bischof und ich dachten uns, daß etwas in dieser Art geschehen könne. In Eurer Botschaft teiltet Ihr uns mit, daß sich die heiligen Bilder nicht von ihr abgewendet hätten. Zudem fanden wir in den Archiven Legenden aus den Tagen, als Ansgar und Poppo die Dänen missionierten. Bisher galten die Legenden als zweifelhaft, doch sie scheinen einige Wahrheit zu enthalten. Deshalb kann ich deuten, was wir gesehen haben.
    Mischlinge haben wie der Elternteil aus dem Feenreich keine Seelen, und zweifellos sind ihre Körper ebenso alterslos. Doch Gott ist bereit, auch diese Wesen anzunehmen, sogar dann, wenn sie schon erwachsen sind. Als Margrete getauft wurde, verlieh Er ihr eine Seele, wie Er es bei einem neugeborenen Kind tut. Sie ist ganz und gar menschlich geworden, sterblich im Fleisch, unsterblich im Geist. Wir müssen gut darauf achten, daß sie ihr Seelenheil nicht verliert.«
    »Warum kann sie sich nicht erinnern?« fragte Knud.
    »Sie ist wiedergeboren. Sie hat die dänische Sprache behalten und dazu alle irdischen Fähigkeiten, die sie sich erworben hatte. Aber von allem, was in irgendeiner Weise Verbindung zu ihrem früheren Leben hat, ist sie gereinigt worden. Das muß die Gnade des Himmels sein, denn jetzt kann der Satan das Heimweh nicht mehr dazu verwenden, das Lamm von der Herde wegzulocken.«
    Der alte Mann schien eher beunruhigt als erfreut zu sein. »Ihre Schwester und ihre Brüder werden das übel aufnehmen.«
    »Ich weiß Bescheid über sie«, erklärte Magnus. »Sagt dem Mädchen, sie soll sich mit ihnen am Strand vor jenen sieben Bäumen treffen, die niedrig und dicht beieinander wachsen. Ihre Zweige werden meine Männer verbergen, die dort mit gespannten Armbrüsten ...«
    »Nein! Niemals ! Ich will es nicht haben!« würgte Knud hervor, der wohl wußte, wie wenig Machtbefugnis er in dieser Sache hatte. Schließlich gelang es ihm, Magnus zu überreden, die Halbblut-Geschwister nicht aus dem Hinterhalt zu überfallen. Sie verließen die Gegend bald. Und wie mochte die Wirkung auf Margretes neue Seele sein, wenn eine Bluttat so gut wie das erste Erlebnis war, dessen sie sich erinnerte?
    Deshalb befahlen die Priester den Bewaffneten, sie sollten nur auf ausdrücklichen Befehl schießen. Alle warteten hinter den Bäumen; es war kalt, windig und dunkel. Margretes weißes Gewand schimmerte schwach von der Stelle her, wo sie verwirrt, aber gehorsam stand, die Hände über einen Rosenkranz gefaltet.
    Durch das Seufzen der Blätter und das Klatschen der Brandung war ein neues Geräusch zu hören. Aus dem Wasser wateten der große Mann, die große Frau und der Junge. Man konnte gerade noch erkennen, daß sie unbekleidet waren. »Unzüchtig!« zischte Magnus zornig.
    Der Mann sagte etwas in einer unbekannten Sprache.
    »Wer bist du?« entgegnete Margrete auf Dänisch. Sie wich vor ihnen zurück. »Ich kann dich nicht verstehen. Was willst du?«
    »Yria ...« Die Frau breitete ihre nassen Arme aus. »Yria.« Sie sprach jetzt dänisch, und in ihrer Stimme schwang die Qual mit. »Was haben sie dir angetan?«
    »Ich bin Margrete«, antwortete das Mädchen. »Sie sagten mir, ich ... müsse tapfer sein ... Wer seid ihr? Was seid ihr?«
    Der Junge knurrte und sprang auf sie zu. Sie hob das Kruzifix. »In Jesu Namen, hebt euch hinweg!« schrie sie entsetzt. Er hätte ihr nicht gehorcht, aber sein Bruder hielt ihn zurück. Der große Mann stieß einen erstickten Laut aus.
    Margrete fuhr herum und floh über die Dünen auf das Dorf zu. Ihre Geschwister blieben eine Weile stehen. Sie sprachen verwirrt und betrübt miteinander, und dann kehrten sie ins Meer zurück.
     

5
    Die Insel, die die Menschen Laesö nennen, liegt vier Seemeilen östlich vom nördlichen Jütland. Bedeckt von Sand und Heidekraut, vom Skagerrag wie vom Kattegat her vom Wind gefegt, hat sie nur wenige Bewohner. Und doch haben ihre kleinen Kirchen das Seevolk für immer von einem Ort verbannt, der einmal sein größter Versammlungsplatz war – denn damals hieß sie Hlesey, Hiers Insel, wobei Hler ein anderer Name für Ägir ist.
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