Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder der Retorte

Kinder der Retorte

Titel: Kinder der Retorte
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
Reproduktion.
    Und Krug überwachte die Reproduktion und berührte die Flüssigkeiten mit seinen eigenen Händen und gab ihnen Form und Wesen.
    »Es werden Männer aus den Retorten kommen«, sprach Krug, »und es werden Frauen aus den Retorten kommen, und sie sollen leben und unter uns wandeln und stark sein und nützlich, und wir werden sie Androiden nennen.«
    Und so geschah es.
    Und da waren Androiden, denn Krug hatte sie nach seinem Bild geschaffen, und sie wandelten auf der Erde und dienten der Menschheit.
    Und dafür sei Krug gepriesen.
4
    Watchman war an diesem Morgen in Stockholm aufgewacht. Er fühlte sich elend. Er hatte vier Stunden geschlafen. Viel zuviel. Zwei Stunden hätten genügt. Er entspannte seinen Geist durch ein schnelles Nervenritual und ging dann unter die Dusche, um sich die Haut abzuspülen. Jetzt fühlte er sich besser. Der Androide streckte sich, ließ seine Muskeln spielen, betrachtete seinen glatten, rosigen, haarlosen Körper im Badezimmerspiegel. Als nächstes einen Augenblick für die Religion. Krug befreie uns von der Knechtschaft. Krug befreie uns von der Knechtschaft! Krug befreie uns von der Knechtschaft. Gepriesen sei Krug! betete er.
    Watchman schlang sein Frühstück hinunter und zog sich an. Die bleiche Sonne des späten Nachmittags schien in sein Fenster. Bald würde es hier Abend sein, doch das war gleichgültig. Die Uhr in seinem Hirn war auf kanadische Zeit, auf Turm-Zeit, eingestellt. Er konnte schlafen wann er wollte. Ein Androidenkörper brauchte nur wenig Schlaf, etwa zwei Stunden pro Tag, doch nicht in der starr programmierten Einteilung der Menschen.
    Er mußte zur Baustelle, um die Besucher des Tages zu begrüßen.
    Der Androide begann die Transmatkoordinaten einzustellen. Er haßte diese täglichen Besichtigungen. Sie verlangsamten die Arbeit, denn es mußten außergewöhnliche Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, wenn Menschen auf der Baustelle waren, sie verursachten unnötige Spannungen und sie ließen darauf schließen, daß man ihn vielleicht nicht ganz vertrauenswürdig fand und daß er jeden Tag kontrolliert werden mußte. Natürlich sah Watchman, daß Krugs Vertrauen in ihn grenzenlos war. Des Androiden Glauben an dieses Vertrauen war ihm bis jetzt ein wunderbarer Halt bei der Aufgabe des Turmbaus gewesen. Er wußte, es war nicht Argwohn, sondern das natürliche menschliche Gefühl des Stolzes, das Krug so oft zur Baustelle führte.
    Krug schütze mich, dachte Watchman und betrat die Transmatkabine.
    Er materialisierte sich im Schatten des Turmes. Seine Mitarbeiter begrüßten ihn. Jemand reichte ihm die Liste der Besucher des Tages. »Ist Krug schon hier?« fragte Watchman.
    »In fünf Minuten«, sagte man ihm, und nach fünf Minuten kam Krug durch den Transmat, begleitet von seinen Gästen. Watchman war nicht erfreut, Krugs Sekretär Spaulding in der Gruppe zu entdecken. Sie waren natürliche Feinde; sie empfanden gegeneinander die spontane Antipathie des aus der Retorte und des aus der Flasche Geborenen, des Androiden und des Ektogenen. Außerdem waren sie Rivalen um den Vorrang unter Krugs Mitarbeitern. Für den Androiden war Spaulding eine Quelle des Argwohns, ein potentieller Unterminierer seines Status, eine Giftquelle. Watchman begrüßte ihn kühl, zurückhaltend, doch korrekt. Man behandelte einen Menschen nicht unfreundlich, ein wie wichtiger Androide man auch sein mochte, und zumindest nach technischer Definition war Spaulding als Mensch zu betrachten.
    Krug drängte alle in die Aufzüge. Watchman stieg auf mit Manuel und Clarissa Krug. Während die Aufzüge zu der abgestumpften Spitze des Turmes hinauffuhren, blickte Watchman zu Spaulding im Aufzug links neben ihm hinüber – zu dem Ektogenen, zu dem pränatalen Waisen, dem Manne mit der verkrampften Seele und dem unheilvollen Geist, in den Krug so unnatürlich viel Vertrauen setzte. Mögen die arktischen Winde dich ins Verderben fegen, aus der Flasche Geborener. Ich möchte dich auf den gefrorenen Grund der Tundra geschleudert und zerschellen sehen.
    Clarissa Krug sagte: »Thor, warum blicken Sie plötzlich so finster drein?«
    »Tue ich das?«
    »Ich sehe Wolken des Zorns über Ihr Gesicht ziehen.«
    Watchman zuckte die Achseln. »Ich mache meine Gefühlsübungen, Mrs. Krug. Zehn Minuten Liebe, zehn Minuten Haß, zehn Minuten Argwohn, zehn Minuten Selbstsucht, zehn Minuten Ehrfurcht, zehn Minuten Arroganz. Eine Stunde solcher Übungen pro Tag macht Androiden den Menschen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher