Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)

Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)

Titel: Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Steve Mosby
Vom Netzwerk:
überrascht.
    »Mr. Doherty?« Ich bemühte mich, den Ekel nicht zu zeigen, den ich ihm gegenüber verspürte. Schon als Kind habe ich gewalttätige Männer gehasst. »Constable Hicks. Darf ich reinkommen?«
    Erwartungsgemäß nickte er mit einer Miene voller Selbstmitleid. Selbst in frühen Jahren meiner Berufslaufbahn hatte ich diese Reaktion schon unzählige Male gesehen. Wenn man es mit häuslicher Gewalt zu tun hatte, zeigten sich manche Täter völlig ungerührt, oft aber war auch genau das Gegenteil der Fall. In den meisten Fällen war es so, dass sich die Männer äußerlich zerknirscht, beschämt und voller Abscheu vor sich selbst darstellten. Danach waren die Opfer nur allzu leicht bereit, ihnen die Entschuldigung und das Versprechen, dass so etwas nie wieder passieren würde, abzunehmen, weil die Männer es häufig sogar ehrlich meinten. Nach außen hin. Bis zum nächsten Mal.
    »Wo ist das Wohnzimmer?«
    »Gleich hier rechts.«
    Seine Stimme war so schwach und kleinlaut wie er selbst, aber irgendetwas an ihr fiel mir auf. Nichts Eindeutiges, nur eine Art Vertrautheit. Statt gleich ins Wohnzimmer zu gehen, drehte ich mich um, sah ihn an und schloss die Tür hinter uns.
    Kenne ich Sie?
    » Gleich da vorne rechts«, sagte er noch einmal.
    Ich sah ihn fragend an und ging weiter ins Wohnzimmer. Es war vollgestellt mit wahllos zusammengesuchtem Mobiliar, als hätte er alles Mögliche gesammelt, ohne den geeigneten Platz dafür zu haben. Es gab kein Sofa, nur vier Sessel, deren Rückenlehnen an die Wand gerückt waren, als wäre der Raum in der Mitte für eine Party oder einen Kampf freigeräumt worden. Der Fernseher thronte auf einem Couchtisch über einem heillosen Kabelwirrwarr, und neben den Sesseln lagen Stapel zerfledderter Zeitschriften herum. Einen davon krönte wacklig ein Aschenbecher, einen anderen ein halbvoller Kaffeebecher. Und überall lagen Kleidungsstücke verstreut.
    Ich rümpfte die Nase über den muffigen Geruch, der über allem hing. Hier hatte schon lange niemand mehr ein Fenster geöffnet, geschweige denn einmal sauber gemacht.
    »Bitte entschuldigen Sie die Unordnung.«
    Diese Stimme.
    Ich drehte mich langsam um und sah John Doherty wieder an. Kenne ich Sie? Er räumte einen Stoß Zeitungen von einem der Sessel, den Rücken zu mir, eine Speckrolle quoll ihm über den Hosenbund. Seine Arme waren unbehaart.
    Woher kenne ich Sie?
    » Also«, sagte er, »ich kann mir schon denken, warum Sie hier sind.«
    Ich setzte zu einer Antwort an, als es mir klarwurde. In dem Moment erkannte ich meinen Bruder.
    Es war ganz eindeutig, sobald es mir gedämmert war. Ein Irrtum war gänzlich ausgeschlossen. In den zwanzig Jahren, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten, hatte er sich kaum verändert. Größe, Gewicht, das weiche Haar: alles unverändert. Vielleicht war seine Identität gerade dadurch, dass er sich gar nicht verändert hatte, verdeckt worden, weil man einfach erwartet, dass Menschen sich verändern. Ich war jedenfalls davon ausgegangen, und er zeigte keine Anzeichen, dass er mich seinerseits erkannt hatte. Wir sahen uns überhaupt nicht ähnlich, wenn das überhaupt jemals der Fall war. Jetzt, wo wir einander gegenüberstanden, war es leicht vorstellbar, dass wir verschiedene Väter hatten. Aber so war es natürlich nicht.
    »Ich kann mir schon denken, warum Sie hier sind.« Er legte die Zeitungen auf den Boden und fuhr sich mit der Hand durch das verbliebene Haar. »Als ob ich das nicht wüsste, verdammt. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie leid es mir tut.«
    John Doherty.
    Nachdem wir getrennt worden waren, hatten wir beide neue Identitäten bekommen. Er war in öffentlichen Einrichtungen verschwunden, und ich kam in eine Pflegefamilie. Geboren wurde ich als Andy Reardon; mein Bruder hieß damals John Reardon. Ich hatte meinen Vornamen behalten und nur den Nachnamen geändert. John hatte es offensichtlich genauso gemacht.
    Ich räusperte mich.
    »Mr. Doherty, würden Sie sich bitte beruhigen.«
    »Ja, ja, natürlich.«
    »Ich bin hier wegen Emmeline.«
    »Ja.« Er deutete auf den Sessel, den er gerade freigeräumt hatte. »Setzen Sie sich doch bitte.«
    Ich wollte – mir war nicht gut, ich fühlte mich zittrig. Der Raum schien zu schwanken, als wäre alles ein Traum. Ich wusste, was zu tun war . Und ich wusste, was ich vorhatte, bis ich hierherkam, aber die Begegnung hatte mich aus dem Konzept gebracht: mich ein wenig zurückgeworfen. Ich musste mein Gleichgewicht wiederfinden.
    »Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher