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Kind der Nacht

Kind der Nacht

Titel: Kind der Nacht
Autoren: Nancy Kilpatrick
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was er ihr in die Hand drücken konnte. Er küsste sie lediglich; aber mit einem Mal fühlte Carol sich auf eine nur schwer zu verstehende Art tief mit ihm verbunden, bis ins Innerste von ihm durchdrungen.
    Plötzlich wurde ihr klar, dass alle, die ihr Gaben gebracht hatten, sich im Kreis um André und sie niedergelassen hatten, jeder entsprechend der Position, die sie seinem Geschenk gegeben hatte. Chloe befand sich hinter André, sodass Carol sie nicht zu sehen vermochte. Julien hatte sich neben Susan gesetzt, abgesehen vom Kamin die einzige freie Stelle in dem Kreis aus Gaben, den sie um sich errichtet hatte.
    Auf einmal stand Rene, die bisher an der Spiegelwand gesessen und zugesehen hatte, auf und ging auf André zu.
    »Nein!«, sagte dieser.
    Rene spürte anscheinend die Wut hinter dieser Zurückweisung. Sie blieb stehen, als sei sie gegen eine Wand gelaufen, und wandte sich von ihm ab. »Na gut«, sagte sie, ungefähr in Moriannas Richtung gewandt, »dann lassen Sie mich Carol wenigstens mein Geschenk überreichen.«
    Die Vampirin überlegte einen Augenblick, und Carol rechnete schon mit einem Nein, doch sie erwiderte: »Die Neun hat sich geändert. Fahre fort!«
    Rene ging zu Carol und kniete vor ihr nieder. In ihren Augen lag ein sonderbarer Glanz, und ihr Atem roch nach Alkohol. Sie wollte sich vorbeugen, um Carol zu küssen, doch Juliens Stimme hielt sie zurück: »Küssen Sie sie nicht!«
    »Nun, als ich herkam, war ich nicht auf eine Feierlichkeit vorbereitet«, sagte Rene leichthin. Sie lächelte. »Wie wär’s mit einem Paar Ohrringe? Echte Rheinkiesel.« Sie streifte ihre dreieckigen Ohrclips ab und drückte sie Carol fest in die Hand. Dabei presste sich ihre Haut auf diejenige Carols.
    Carol blickte auf ihren Kreis aus Geschenken. Sie wusste nicht recht, wo sie die Ohrringe hinlegen sollte. Mit einem Mal schienen sie ihr merkwürdig deplatziert. Sie waren noch warm vom Kontakt mit Renes Haut, und die Spitzen der Dreiecke stachen ihr in die Handflächen. Das jagte ihr Angst ein. Warum nur?, fragte sie sich. Rene ist meine Freundin. Seit Jahren vertraue ich ihr alles an. Ohne Rene hätte sie Michael niemals wiedergefunden. Dennoch kam ihr irgendetwas furchtbar verkehrt vor, ohne dass sie in der Lage gewesen wäre zu sagen, was es denn nun war. Alles, was sie wusste, war, dass sie den Drang niederkämpfen musste, die Ohrringe ins Feuer zu werfen. Damit würde sie Rene nur grundlos vor den Kopf stoßen. Gleichzeitig jedoch hatte Carol ein ungutes Gefühl, die Ohrringe auch nur in der Hand zu halten, und sie ärgerte sich darüber, dass Rene sie berührt hatte.
    Sie ließ die Ohrringe neben den Kamin fallen, und mit einem Mal wurde ihr klar, dass ihr der Schweiß nicht allein deshalb über den Körper lief, weil das Feuer so heiß war. Sie blickte auf. Rene hatte sich natürlich nicht an die Stelle gesetzt, die den Ohrringen entsprochen hätte, nämlich so weit wie nur möglich weg von André. Zwischen Carol und dem Kamin hätte sie auch keinen Platz mehr gefunden. Aber mit dem, den sie sich aussuchte, hatte Carol nicht gerechnet - zur Rechten Andrés, keinen Meter von ihm entfernt.
    Rene verstieß gegen das Muster, und Carol gab sich die Schuld daran. Sie hätte besser darauf achten sollen, wohin sie die Ohrringe legte. Sie schaute zu André hinüber. Es war offensichtlich, dass Rene ihm zu nahe gerückt war. Carol lächelte ihm zu, es sollte aufmunternd wirken, aber sein Blick war derart düster, mordlüstern, dass sie es nicht ertrug hinzusehen und schnell wieder wegblickte.
    Die nächsten Stunden verliefen schweigend. Nur hin und wieder spielte Claude etwas auf der Flöte, und Morianna erzeugte einen Ton mittels einer Glocke. Dazu läutete sie sie nicht, sondern ließ stattdessen einen hellen Holzklöppel rings um den Rand streichen. Auf diese Weise entstand ein unheimliches Hallen, das Carol durch Mark und Bein drang.
    Die ganze Nacht über konnte Carol zusehen, wie ein cremefarbener Mond aufging und immer höher stieg, bis er schließlich hinter den Bäumen auf dem Gipfel verschwand. Sie dachte an die unterschiedlichsten Dinge. An die Gaben, die sie erhalten hatte, an diejenigen, die sie ihr gebracht hatten, und daran, was das Ritual für sie bedeutete. Sie dachte an Michael und André und daran, wie ihr ganzes Leben sich verändert hatte.
    Sie konnte zusehen, wie ihr Leben verging, aber auch ihre Einsamkeit. Heute Nacht sollte sie André als die
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