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Kelwitts Stern

Kelwitts Stern

Titel: Kelwitts Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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ihnen vorbei.
    Die Frau mit den langen schwarzen Haaren saß am Steuer, eine andere, ältere Frau neben ihr, dahinter ein Junge, vielleicht fünfzehn, und … das Wesen.
    Es sah ihn an.
    Er hätte schwören können, dass ihn diese riesigen schwarzen Augen ansahen.
    Sie baten um nichts. Sie drohten nicht. Sie übten keinen Zwang aus. Sie sahen ihn einfach nur an.
    Dann schoss der Bus vorbei, und nun waren es seine Verfolger, die auf sie zukamen, an ihnen vorbeiwollten. Alles, was Thomas Thieme zu tun brauchte, war, die Kupplung loszulassen und Gas zu geben, und das tat er. Sein grüner VW-Bus, ein Geschenk seiner Eltern, sprang mit einem Satz quer mitten auf die Straße, und die heranrasenden Autos prallten darauf und verkeilten sich rettungslos ineinander.
    Sie schälten Thomas und Rainer mit Prellungen und Schürfwunden aus dem Wrack und brachten sie in den ursprünglich für ganz andere Zwecke bereitgestellten Krankenwagen. Das Letzte, was Thomas hörte, ehe er in angenehme Bewusstlosigkeit sank, war ein Mann, der völlig außer sich schrie: »Sie sind weg! Verdammte Scheiße, sie sind weg!«

23
    Sie flossen mit dem Verkehr dahin, ein grauer, unauffälliger Kleinbus mit Gardinen an den Fenstern, und schwiegen. Keiner von ihnen konnte so recht begreifen, was ihnen da gerade passiert war. Es war nicht einfach Schweigen, es war eine geschockte, erschrockene Stille. Als könnte das erste gesprochene Wort das Inferno erneut auf sie herabbeschwören.
    Um sie herum brummte es, als wäre nichts. Als wäre nicht Silvester 1999. Als hätte das alles überhaupt nicht stattgefunden.
    Sie fuhren einfach dahin. Irgendwohin. Flossen mit dem Strom und gerieten auf die doppelspurige Bundesstraße, die am Neckar entlang nach Süden aus Stuttgart hinausführt. Aber der Einzige, der die Industriegebiete rechts und links davon betrachtete, war Kelwitt.
    Er war es auch, der das Schweigen brach. »Was ist das?«, fragte er plötzlich und deutete aus dem Fenster.
    »Das ist eine andere Stadt«, antwortete Thilo tonlos. »Sie heißt Plochingen.«
    »Nein«, beharrte Kelwitt. »Ich meine dieses … Gebäude dort. Mit den goldenen Kugeln auf dem Dach.«
    Nun sah Thilo genauer hin. Tatsächlich ragt mitten im Zentrum von Plochingen ein bunt verzierter Turm in die Höhe, der von vier großen, goldenen Kugeln gekrönt wird. Er wirkt zugleich kindlich, Ehrfurcht einflößend und aufsehenerregend und ist das Wahrzeichen der Stadt. »Das ist das Hundertwasser-Haus«, erklärte Nora Mattek mit belegter Stimme und räusperte sich. Sie schien noch etwas dazu sagen zu wollen, ließ es aber dann.
    »Das gefällt mir«, erklärte Kelwitt und schaute dem Gebäude nach, bis es den Blicken entschwand. »Hundertwasser-Haus. Das gefällt mir. Ein schöner Name.«
    Sybilla warf ihm einen irritierten Blick zu, sagte aber zunächst nichts. Erst als sie Richtung Autobahn abgebogen waren, fragte sie: »Wie lange ist er schon bei euch? Und wieso ist er zu euch gekommen?«
    Sie sah Thilo an dabei, aber dessen Mutter antwortete. »Seit zwei Wochen. Mein Mann und meine Tochter haben ihn auf der Straße aufgelesen, irgendwo auf der Alb.«
    »Er ist mit seinem Raumschiff abgestürzt«, fügte Thilo hinzu.
    »Zwei Wochen«, wiederholte Sybilla sinnend. »Du warst bei mir und hast nichts davon gesagt, Thilo?«
    Thilo wich dem erstaunten Stirnrunzeln seiner Mutter aus.
    »Wir haben versucht, es geheim zu halten.«
    »Das war falsch«, erklärte Sybilla kategorisch.
    »Wie bitte? Du hast doch gesehen, wie sie hinter ihm her waren!«
    »Die erste Begegnung mit Wesen von den Sternen ist ein bedeutsamer Zeitpunkt und von großer spiritueller Bedeutung für die Menschheit«, sagte Sybilla mit dunkler Stimme. »Ihr hattet kein Recht, das der Welt vorzuenthalten. Ihr hättet seine Ankunft allen verkünden müssen, aller Welt und allen bösen Mächten zum Trotz.« Sachlich fügte sie hinzu: »Abgesehen davon hätten diese Gestalten so einen Überfall vor laufenden Fernsehkameras nicht gewagt.«
    »Das Fernsehen als Macht des Guten«, murmelte Nora vor sich hin. »Sie sollten mal mit meinem Mann reden.«
    »Aber es ist ein Zeichen«, fuhr Sybilla fort. Ihr Blick ging in eine entrückte Feme, nicht unbedingt ein Anblick, den man als Beifahrer schätzt. »Ganz sicher ist es ein Zeichen. Ich wusste, dass es so weit ist.«
    Kelwitt wurde hellhörig. »Ein Zeichen? Wie in einem Orakel? Wofür?«
    »Dafür, dass sich nun alles ändert.«
    Hermann Hase hörte sich Wiesels Bericht an,

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