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Kellerwelt

Kellerwelt

Titel: Kellerwelt
Autoren: Niels Peter Henning
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Gedanken er verfolgte, blieb er stehen, als sei er gegen
eine Wand gelaufen. Er griff unter seine Jacke und zog die Pistole aus seinem
Hosenbund. Woher wusste er, was er da in der Hand hielt? Und woher wusste er,
wie man dieses Ding handhabte? Die Routine, mit der er diese Waffe handhabte,
erschreckte ihn beinahe ebenso sehr wie der Gedanke, diese Waffe gegen einen
Menschen zu richten. Doch vor einigen Augenblicken war ihm dieser Gedanke
völlig normal vorgekommen. Und woher kam die Idee, eine Eisenstange zu einer
Schlagwaffe umzufunktionieren? So etwas passte nicht zu ihm. Schließlich war er
doch nur ein ganz normaler Kerl von der Straße. Er war doch nur ein armer,
verängstigter Tropf, der den Ausgang suchte. Er wollte nur hier raus. Mehr
wollte er nicht - soweit er sich erinnerte.

Zum
Loch
     
    Aufwachen.
    Sie riss die Augen auf.
    An der Decke glimmte eine
Funzel vor sich hin. Sie blinzelte in das Licht dieser Funzel. Dann drehte sie
sich um und schloss ihre Augen wieder. Sie wollte noch nicht aufstehen. Es gab
nichts zu tun.
    Sie wollte einfach noch ein
wenig liegen bleiben. Aber es ging nicht. Sie konnte nicht mehr einschlafen.
Sie fand keine bequeme Haltung und sie schaffte es auch nicht mehr, ihre Augen
geschlossen zu halten.
    Das konnte nur eines
bedeuten: Sie hatte eine neue Aufgabe!
    Keine Aufgabe, die ihr der
Chef zugeteilt hatte, sondern eine richtige Aufgabe. Um sich zu vergewissern,
warf sie einen Blick auf ihre linke Armbeuge. Tatsächlich: Ein Einstich.
    Sie schlug den Lappen
beiseite, den sie als Decke missbraucht hatte. Dann schwang sie ihre Beine von
dem Tisch, auf dem sie geschlafen hatte. Ihre Kleider lagen am Boden verstreut.
Sie sammelte sie ein. Während sie in die braunen Kleidungsstücke schlüpfte, die
sie als Pfadfinderin kennzeichneten, verhedderte sie sich vor lauter Aufregung
mehr als einmal.
    Ihre Kleider rochen
inzwischen ziemlich streng. Eigentlich wäre es an der Zeit gewesen, eine Quelle
aufzusuchen, um die Klamotten zu reinigen. Vielleicht wäre es sogar an der Zeit
gewesen, sich nach neuen Kleidungsstücken umzusehen, denn die alten wiesen
bereits eine Vielzahl zusätzlicher Nähte und Flicken auf. Doch darüber machte
sie sich in diesem Moment keine Gedanken. Sie hatte eine neue Aufgabe - das war
viel interessanter.
    Sie hüpfte auf einem Bein
durch den Raum und versuchte dabei, mit dem anderen Fuß in einen ihrer Stiefel
zu schlüpfen. Nachdem sie auf die Nase gefallen war, endete der Versuch, indem
sie sich auf den Boden setze und den Stiefel mit Gewalt nach oben zog. Mit dem
zweiten Stiefel verfuhr sie ebenso. Die Schnürsenkel mussten warten - die
Stiefel hielten auch so.
    Sie raffte noch ihren
Rucksack ein, dann stürmte sie aus dem Raum. Sie musste unbedingt zum Chef. Er
wollte sofort informiert werden, wenn jemand die Siedlung verließ, um eine
Aufgabe zu erfüllen. Zuvor musste sie aber noch ein Geschäft erledigen.
    Sie tappte zu dem Abschnitt
der Siedlung, den sie als Latrine benutzten. Dort suchte sie sich einen Raum
mit einem freien Loch im Boden aus. Über dem zweiten Loch in diesem Raum saß
gerade eine Beschafferin und verabschiedete sich von ihrer letzten Mahlzeit.
    Sie zog ihre Hose herunter
und verrichtete ihr Geschäft so schnell wie möglich. Aus ihrem Rucksack
zauberte sie ein Stück Stoff hervor, mit dem sie sich reinigte. Danach wanderte
der Stoff in eine Plastikhülle, die sie sich aus Verpackungen von
Nahrungsriegeln gebastelt hatte. Stoff war zu wertvoll, um ihn in die Latrine
zu werfen. Sie würde ihn später an einer Quelle reinigen - zusammen mit dem
Rest ihrer Klamotten.
    Als sie die Latrine verließ,
fragte sie sich kurz, womit sich die Beschafferin wohl reinigen mochte, nachdem
sie ihre Mahlzeit losgeworden war. Die Frau hatte nichts bei sich getragen
außer ihren Kleidern. Aber das sollte nicht ihre Sorge sein. Sie war eine
Pfadfinderin. Sie hatte sich nicht um solche Dinge zu kümmern.
    Ob sie wohl schon wusste,
was sie zu tun hatte? Damals, als es noch regelmäßig etwas zu tun gab, war sie
oft aufgewacht und hatte sofort gewusst, wohin sie ihr Auftrag führen würde.
Doch manchmal wusste sie es nicht gleich. Dann fühlte sie einfach nur den
Drang, etwas tun zu müssen. Erst nach einer Weile wurde ihr klar, was sie zu
tun hatte. Das passierte meistens, wenn sie zu aufgeregt war, um sich zu
konzentrieren - genau wie jetzt. Also blieb sie stehen und zwang sich, tief
durchzuatmen und nichts zu überstürzen. Das war schwierig, doch sie
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