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Keinesfalls Liebe (German Edition)

Keinesfalls Liebe (German Edition)

Titel: Keinesfalls Liebe (German Edition)
Autoren: Zoi Karampatzaki
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entscheidenden Fehler macht“, sagte Daniel fest. „In einer Stunde, Sean. Nicht später und nicht früher.“
    Dann ging er wieder nach oben, holte seine Pistole aus dem Versteck und schob sich eine Packung Munition in die Hosentasche.

Greys Haus hatte einen ähnlichen Grundriss wie das, in dem ich mit Daniel die Wintertage verbracht hatte. Es dauerte eine Weile, bis ich mutig genug war, aber schließlich ging ich die Treppen hinunter und in das Zimmer, in dem Licht brannte. Es war ein wunderschönes Wohnzimmer mit einem edlen, hellen Teppich, der mich auch an das Haus von Daniels Vater erinnerte. In einer großen Wandnische stand ein Esstisch; eine gebogene Sitzbank wand sich darum. Auf dem Tisch lag Pauls Tagebuch. Gut. Er hatte nicht gelogen.
    Ich warf einen Blick in die Küche. Alle Schränke waren aus angenehm hellem Holz, das einen Eindruck trügerischer Sanftheit und Idylle heraufbeschwor. Grey drehte gerade den Herd an.
    „Stört es dich gar nicht, dass ich unfreiwillig hier bin?“, platzte ich heraus.
    Er schien nicht überrascht zu sein. „Wenn es mich belasten würde, hätte ich dich nicht hergebracht.“
    „Ach, so ist das.“
    „Genau.“ Er drehte den Kopf und schaute mich an. „Hast du schon in Pauls Tagebuch gelesen, Jo?“
    „Nein.“
„Warum?“
„Weil ich erst dafür sorgen muss, dass du den entscheidenden Fehler machst“, sagte ich fest. Ich hatte keine Angst mehr.

Die Fahrt war lang und nervenaufreibend. Eigentlich hatte Daniel zielstrebig nach Los Angeles und von dort aus in die Berge fahren wollen, aber der Feierabendverkehr war grässlich . Mit so vielen Autos hatte er nicht gerechnet. Ich war schon ewig nicht mehr hier. Vor Los Angeles bog er scharf ab und war bald rechts und links von staubigen, gefährlichen Geröllhängen und ausgetrockneten Bäumen umgeben. Ihm wurde heiß und kalt, als er erkannte, dass er unbewusst genau die Straße gewählt hatte, auf der er mit Grey zu dem Haus gelangt war, das er jetzt wieder aufsuchte, um den Mann, den er liebte, vor dem Mann, den er einst liebte, zu retten.
    Überall lag Schnee. Er häufte sich an den Geröllhängen, aber manchmal kam Daniels Auto fast nicht durch die geballte weiße Masse auf den Straßen.
    Es war schon seit einer Weile schwärzeste Nacht, als Daniel am Straßenrand parkte. Jetzt galt es nur noch, fünf Minuten lang auf dieser Straße zu laufen, dann den einsamen, kaum erkennbaren Pfad zu nehmen und die Kraft zu besitzen, das Haus zu betreten, in dem …
    Die Scheiben des Wagens beschlugen von Daniels raschem Atem. Um ihn herum war es eiskalt, aber er fühlte sich wie ein Vulkan. Magma strömte durch seinen Körper, kitzelte die Oberfläche und wollte ausbrechen. Diese unerträgliche Hitze der Angst …
    Du musst hier weg, du musst hier weg, tu dir das nicht an! Kehr um! , bettelte seine Vernunft.
    Nimm die Waffe, steig aus und rette den Mann, den du liebst!, brüllte sein Herz.
    Daniel nahm die Waffe, stieg aus und lief los. Auf seine erhitzte Haut traf schneidend die nächtliche Kälte. Diese Art von Kälte erinnerte ihn an Zuhause, an Washington D.C., und half ihm.
Genau daran dachte er, während er auf seine persönliche Hölle zuschritt. An weiße Weihnachten, an den Gänsebraten, an die vielen bunt verpackten Geschenke, an den herrlich süßen Kakao und an den Schluck Glühwein mit Alkohol, den er sich von seinem Vater gestohlen hatte, als die vielen, vielen Erwachsenen gerade dabei waren, sich über die große, große Familie zu unterhalten. Er dachte auch an seinen Bruder Sam und an seine Schwester Olivia und an seinen Vater, wie er vor Grey war, und wie sehr sie alle einander geliebt hatten, wie glücklich sie waren, wie perfekt seine Kindheit und Jugend gewesen war, bis …
    Eine schneebedeckte, hohe Geröllwand schien zurückzuweichen und gab so urplötzlich den Blick auf das zweistöckige, riesige, hellgolden erleuchtete Haus frei, dass Daniel stehen bleiben musste; das Knirschen des Schnees war nicht mehr zu hören und winterliche Stille drückte fast schmerzhaft auf seine Ohren. Er fragte sich, ob Grey ihn erwartete oder ob er Daniel nicht zutraute, dieses Haus zu betreten.
    Vernunft und Herz bekämpften einander wieder, aber im Verborgenen hatte sein Herz schon den nächsten Gang eingelegt.
    Daniel lief weiter und wurde immer schneller, bis er rannte, und während er rannte, entsicherte er die Waffe, und während er die Waffe entsicherte, dachte er daran, dass er so Jo retten konnte, und Jo war das,
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