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Keine Macht den Doofen

Keine Macht den Doofen

Titel: Keine Macht den Doofen
Autoren: Michael Schmidt-Salomon
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das die langfristigen Folgen des Wirtschaftens berücksichtigt.
Vonseiten der Politik darf man in diesem Zusammenhang nicht viel erwarten: Denn
wie könnten sich Politiker gegen die Scheuklappenblindheit kurzfristiger
Interessen stellen, wenn ihre Wiederwahl von der Befriedigung dieser kurzfristigen
Interessen abhängt? Und wie könnten sie die Fehler unserer kulturellen Matrix
korrigieren, wenn ihr eigenes Denken und Handeln von ebendieser Matrix geprägt
wurde?
    Vor eineinhalb Jahrhunderten stand Karl Marx vor dem gleichen
Problem. In seinen berühmten Feuerbachthesen heißt es
hierzu: »Die materialistische Lehre von der Veränderung der Umstände und der
Erziehung vergisst, dass die Umstände von den Menschen verändert und der
Erzieher selbst erzogen werden muss. (…) Das Zusammenfallen des Änderns der
Umstände und der menschlichen Tätigkeit oder Selbstveränderung kann nur als revolutionäre Praxis gefasst und rationell verstanden
werden.« 96 Damit ist
zweierlei gemeint: Erstens , dass unser Denken und
Handeln ebenso von den gesellschaftlichen Verhältnissen bestimmt ist, wie die
Verhältnisse von unserem Denken und Handeln bestimmt werden. Zweitens , dass beides nicht statisch ist, sondern
permanentem Wandel unterliegt. Besonders dramatisch sind diese Veränderungsprozesse
in Momenten der Krise , also wenn offenbar wird, dass
die Form unseres Zusammenlebens oder unseres Stoffwechsels mit der Natur solch
schwere Probleme produziert, dass wir sie mit traditionellen Hilfsmitteln nicht
mehr lösen können. Insofern steckt in jeder ernsthaften gesellschaftlichen
Krise eine Gefahr und Chance zugleich – die Gefahr, dass hart erkämpfte kulturelle Errungenschaften verloren
gehen (so geschehen etwa nach dem Niedergang der antiken Hochkulturen in
Europa), aber auch die Chance, dass wir aus den Katastrophen der Vergangenheit
lernen (man denke etwa an den friedlichen Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten
Weltkrieg).
    Auch die Krisen der Gegenwart sind in diesem Sinne ambivalent: Aus
dem arabischen Frühling könnte schnell ein islamistischer Winter werden, eine kulturelle Eiszeit, die
alle Hoffnung auf Freiheit in den arabischen Ländern erfrieren lässt – das
zarte Pflänzchen der Freiheit, das nach dem Sturz der Diktatoren entstanden
ist, könnte jedoch auch zu einem Baum heranwachsen, der reiche Früchte trägt.
Ebenso könnte die Krise der Finanzmärkte eine ökonomische Katastrophe mit
verheerenden Folgen auslösen, jedoch auch eine fairere Form des globalen
Wirtschaftens herbeiführen. Ob wir die Chance, die in der gegenwärtigen Krise
liegt, nutzen oder nicht, wird maßgeblich davon abhängen, ob
wir bereit sind umzudenken . Denn die großen Probleme der Welt können nicht mit derselben Denkweise
gelöst werden, mit der wir sie verursacht haben (Albert Einstein). 97
    Entscheidend wird sein, ob sich die Narren des
Widerstands von den tradierten Mustern der kulturellen Matrix lösen
können oder ob sie letztlich nur alten Wein in neue Schläuche gießen. Dass in
dieser Hinsicht noch einiger Nachholbedarf besteht, zeigt sich darin, dass fast
alle Widerstandsbewegungen heute mit einem hochmoralischen
Impetus auftreten – so, als ob die Probleme, die die Welt belasten,
darauf zurückzuführen wären, dass sich »böse« Unternehmer, Manager, Banker,
Politiker aus freien Stücken gegen Mensch und Natur verschworen hätten. Doch
handelt es sich hier wirklich um ein moralisches Problem? Resultierte die Weltfinanzkrise wirklich aus der persönlichen Raffgier einzelner Banker?
Sind die Toren der Macht wirklich so viel
eigennütziger als die Narren des Widerstands? Nein! Der Satiriker Wiglaf Droste
dichtete einmal: »Ist das Hirn zu kurz gekommen, wird sehr gern Moral
genommen.« 98 Dies
trifft auch im vorliegenden Fall zu: Die globale Misere beruht eben nicht auf moralisch verwerflichen Entscheidungen einzelner Personen ,
sondern auf einem System, das so unintelligent designt ist,
dass es notwendigerweise zu Prozessen von Schwarmdummheit kommt.
    Es wäre absurd, Politikern vorzuwerfen, dass sie sich an Interessen
orientieren, Wirtschaftsleuten, dass sie Profite erwirtschaften wollen, oder
Geistlichen, dass sie sich darum bemühen, »Seelen« zu retten. Schließlich
erledigen sie damit nur ihren Job. Sie tun, was die jeweiligen Subsysteme ihnen
abverlangen. Das Tragische dabei ist: Je effizienter, je gewissenhafter sie
ihren Job erledigen, desto verheerender sind die Folgen. Denn das ist das Dumme
an dummen
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