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Kein Alibi: Roman (German Edition)

Kein Alibi: Roman (German Edition)

Titel: Kein Alibi: Roman (German Edition)
Autoren: Sandra Brown
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Wahrzeichen des Neubaus geworden war. Wie der Inbegriff südstaatlicher Gastlichkeit erhob sich aus der Eingangshalle eine breite Doppeltreppe. Beide Aufgänge schienen den mächtigen Kristalllüster zu umarmen, ehe sie sich in zwölf Meter Höhe über der Halle zur Galerie im ersten Stock vereinigten.
    Auf beiden Ebenen mischten sich Polizisten unter Hotelgäste und Angestellte, die inzwischen alle wussten, dass im fünften Stock offensichtlich ein Mord geschehen war.
    Nur ein Todesopfer kreiert eine derart erwartungsvolle Atmosphäre, dachte Smilow, während er prüfend die Szene musterte. Schwitzende Touristen mit Sonnenbrand und Kameras im
Schlepptau liefen herum, stellten jeder Autoritätsperson Fragen, unterhielten sich mit ihresgleichen und spekulierten über die Identität des Opfers und den Grund für den Mord.
    Smilow war in seinem Maßanzug samt Hemd mit Doppelmanschette viel zu elegant angezogen. Trotz der drückenden Hitze draußen wirkte seine Kleidung frisch und trocken, ohne einen Hauch von Feuchtigkeit. Einmal hatte ein irritierter Untergebener leise nachgefragt, ob Smilow je schwitze. »Blödsinn, nein«, hatte ein Kollege geantwortet. »Weiß doch jeder, dass Aliens keine Schweißdrüsen haben.«
    Zielstrebig steuerte Smilow die Aufzugreihe an. Offensichtlich hatte der Polizist, mit dem er am Eingang gesprochen hatte, sein Kommen einem Kollegen angekündigt, der im Aufzug stand und die Tür für ihn offen hielt. Smilow beachtete die höfliche Geste nicht, sondern trat hinein.
    »Hält der Glanz noch, Mr. Smilow?« Smilow drehte sich um. »O ja, Smitty, danke.«
    Der Mann, von dem alle nur den Vornamen kannten, betrieb in einer Nische neben der Hotelhalle drei Schuhputzstände. Jahrzehntelang war er in einem anderen Hotel im Stadtzentrum Teil des festen Inventars gewesen. Erst vor kurzem hatte man ihn ins Charles Towne Plaza gelockt, wohin ihm seine Kundschaft gefolgt war. Selbst von Leuten, die nicht in der Stadt heimisch waren, bekam Smitty exzellente Trinkgelder, weil er besser als der Empfangschef wusste, was wo los war und wo man alles, wonach man in Charleston suchte, finden konnte.
    Rory gehörte zu den regelmäßigen Kunden von Smitty. Normalerweise wäre er auf ein paar freundliche Worte stehen geblieben, aber heute hatte er es eilig. Jede Verzögerung war ihm zuwider, deshalb meinte er nur knapp: »Bis später, Smitty.« Und schon glitten die Aufzugtüren zu.
    Stumm fuhr er mit dem uniformierten Polizisten in den obersten Stock. Smilow pflegte nie freundschaftlichen Umgang mit Kollegen, nicht einmal mit gleichrangigen, geschweige denn mit Untergebenen. Nie fing er von sich aus ein Gespräch an, es sei denn, es handelte sich um einen seiner aktuellen Fälle. Alle aus
seinem Ressort, die in einem Anfall von Wagemut versuchten, mit ihm zu plaudern, stellten bald fest, dass sie nicht weit kamen. Sein Verhalten ermutigte nicht zu Kameradschaft, und sein tadelloses Äußeres tat ein Übriges; im täglichen Umgang wirkte es wie Stacheldraht.
    Als sich die Aufzugtüren im fünften Stock öffneten, verspürte Smilow eine vertraute Erregung. Er hatte schon zahllose Mordschauplätze gesehen, manche eher langweilig und unspektakulär, andere äußerst grausig. Einige waren rasch vergessene Routine, an andere würde er ewig denken. Entweder wegen der Phantasie des Killers, wegen der seltsamen Umstände, unter denen man die Leiche entdeckt hatte, wegen der bizarren Tötungsmethode und der außergewöhnlichen Waffe oder wegen des Alters und der Verhältnisse des Opfers.
    Trotzdem löste bei ihm jeder erste Schritt an den Ort eines Verbrechens unweigerlich einen Adrenalinstoß aus, dessen er sich ganz und gar nicht schämte. Genau zu dieser Arbeit war er geboren, er genoss sie in vollen Zügen.
    Als er aus dem Aufzug trat, erstarb das Gespräch zwischen den Zivilbeamten im Flur. Aus Respekt oder aus Angst traten sie beiseite, während er auf die offene Tür jener Hotelsuite zuschritt, in der heute ein Mann gestorben war.
    Er notierte sich die Zimmernummer, ehe er hineinspähte. Erleichtert stellte er fest, dass bereits sieben Beamte von der Spurensicherung vor Ort waren und ihren unterschiedlichen Aufgaben nachgingen.
    Da sie ihren Job gründlich erledigten, wandte er sich zufrieden an die drei Kriminalbeamten, die von der Mordkommission geschickt worden waren. Einer hatte eine Zigarette geraucht, die er nun hastig in einem Aschenbecher ausdrückte. Smilow belohnte ihn mit einem kalten starren Blick.
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