Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kayankaya 4 - Kismet

Kayankaya 4 - Kismet

Titel: Kayankaya 4 - Kismet
Autoren: Jakob Arjouni
Vom Netzwerk:
verzogen hatte.
    Iris, die Brillenschlange, legte es während des Essens hartnäckig darauf an, eine ernsthafte Unterhaltung mit mir zu führen. Dabei schien ihr das Thema völlig egal zu sein. In ihrem Gebrauchsanweisungston, der sich trotz zügig steigernder Trunkenheit nicht änderte, kam sie von der digitalen Zukunft der Archäologie über zerstörerischen Massentourismus und der Frage, was ich so in den Ferien unternähme, bis zu Beziehungen zwischen Mann und Frau ganz allgemein.
    »Glauben Sie auch, daß die entscheidenden Fehler, die irgendwann später zum Bruch führen, ganz am Anfang gemacht werden, vielleicht schon beim ersten Treffen?«
    »Tja, ahm… weiß nicht. Manchmal vielleicht.«
    »Aha.«
    »Wieso aha?«
    »Interessant: manchmal vielleicht. Im Umkehrschluß hieße das: manchmal nicht.«
    In einer Hinsicht war sie ein Phänomen. Inzwischen so blau, daß sie fast schielte und eigentlich nur noch Unsinn redete, sprach sie immer noch auf dieselbe, leicht schleppende, völlig emotionslose, auf jede Betonung verzichtende Art, als sei Sprechen ihr miserabel bezahlter Job.
    Als sich die Tafelrunde auflöste und man sich auf Sofas und Sessel verteilte, nutzte ich die Gelegenheit und schlüpfte der Brillenschlange davon. Ich ging ins Schlafzimmer, um mich von Leila zu verabschieden.
    »Sobald es was Neues gibt, ruf ich dich morgen an.«
    »Okay. Geht gut?«
    »Na, klar.« Ich strich ihr über den Kopf. »Vorhin in Küche das war ein Witz, weißt du?«
    »Weiß ich. Versuch ein bißchen zu schlafen.« Sie nickte, und wir lächelten uns zu. »Bis morgen.«
    Wie vorhin fand ich Slibulsky in der Küche. Er saß am Tisch und trank Schnaps.
    »Ich muß gehen. Hab morgen viel vor.«
    »Mußt du mir nicht erklären«, murmelte er betrunken vor sich hin.
    »Ärgern dich nur die Leute, oder is noch was anderes?«
    »Reichen die nicht zum Ärgern?«
    »Doch, doch. Also… paß auf Leila auf.«
    »Keine Sorge.«
    Beim Hinausgehen winkte ich Gina zu, bekam ein kühles Nicken zurück, und dann war ich endlich im Treppenhaus. Es war nicht sehr fein, aber schon als die Haustür hinter mir zufiel, hatte ich Slibulsky und Gina vergessen.
     
    19
     
    Am nächsten Morgen Punkt zehn stieg ich ins Auto und fuhr los Richtung Bahnhofsviertel. Die Sonne schien, und es war über Nacht wieder warm geworden. Auf den Straßen wurde getrödelt, geschwatzt, man ging Samstagseinkäufen nach oder saß beim ersten Wochenendgetränk vor den Cafés. Ich hatte das Fenster runtergekurbelt. Lachen, Kinderkreischen und frische, nach Blüten duftende Luft wehten herein. Frankfurt fühlte sich an diesem Morgen an wie eine Mischung aus Freibadwiese und ereignisreichem Dorfplatz.
    Doch als ich in die Kaiserstraße einbog, änderte sich die Stimmung. Zuerst wurde es einfach nur stiller, obwohl es in dem Bums- und Spielviertel normalerweise lauter zuging als sonstwo in der Stadt. Samstags erst recht, und auch schon am Vormittag. Die Wochenendkundschaft aus Sowieso-Dorf und Nieder-Dingsda wollte schließlich was haben fürs Benzingeld. Da ging’s mit den Hühnern hoch, und ab neun Uhr morgens die Bordellflure auf und ab.
    Je mehr ich mich dem Hauptquartier des Albaners, dem >New York<, näherte, desto leerer wurden die Bürgersteige, bis fast überhaupt niemand mehr rumlief. Hier und da ein weggetretener Fixer und ein paar Reisende mit Taschen auf dem Weg vom oder zum Bahnhof, die die merkwürdige Atmosphäre ebenfalls spürten und sich nervös umguckten. Nur wenn man genau hinsah, konnte man die vielen Köpfe erkennen, die sich hinter dunklen Kneipenfenstern und halb offenen Stripteaseclubtüren zusammendrängten und die Straße hinunterblickten. Plötzlich durchbrach eine Sirene die Stille, und im nächsten Moment raste ein Krankenwagen an mir vorbei. Die Sirene entfernte sich, und es schien anschließend noch stiller zu werden. Dann sah ich am Eckhaus der Seitenstraße, in der sich das >New York< befand, den Widerschein von mindestens zwanzig Blaulichtern. Ich fuhr langsam heran, hielt vor der Polizeisperre und steckte mir mit zitternden Händen eine Zigarette an. Anstelle des mit reichlich Neonröhren verzierten >New Yorks einer dreistöckigen Diskothek mit Restaurant und Billardsaal, leuchtete blauer Himmel. Das Haus gegenüber, in dem der Deutsche residiert hatte, lag ebenfalls in Schutt, und von zwei seiner Bars war außer letzten Rauchfahnen auch nicht mehr viel übrig. Dafür gab es jede Menge verkohlte Leichen. Sie wurden von
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher