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Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)

Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Isabel Morf
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Sie redete mit ihrer Puppe und führte kleine Plastikkamele durch eine Sandwüste.
Lotte war ein fantasievolles Kind, das gut allein spielen konnte, sich Geschichten
ausdachte, die sie mit Puppen und Plastiktieren aufführte. Nadine setzte sich beim
Kinderwagen auf eine Bank. Es war ruhig hier. Grün. Vor dem Haus plätscherte der
Katzenbach vorbei. Auf dem Spazierweg gingen Leute, ein Mann mit einem Hund, eine
junge Frau, die Nadine vage bekannt vorkam. Sie hatten Glück gehabt, diese Wohnung
zu finden. Seebach war ein Außenquartier von Zürich, ein bisschen weit vom Zentrum
entfernt. Aber Stefan arbeitete in der Nähe, in Glattbrugg. Und sie hatte nicht
das geringste Bedürfnis, oft in die Stadt zu fahren. Was sollte sie dort. Hier könnten
ihre Kinder glücklich aufwachsen, so hatten es Stefan und sie empfunden. Hier wären
sie eine glückliche Familie. Und jetzt? Über Nadine legte sich wieder dieses Gefühl
der Lähmung, das sich eine halbe Stunde lang verzogen hatte. Lotte erschien: »Mama,
kommst du mit mir spielen?«
    »Nein, meine
Kleine. Ich muss ein bisschen nachdenken.«
    »Komm doch.«
Lotte näherte sich ihr. »Mama, bist du traurig?«
    »Nein«,
wehrte Nadine ab. »Nur etwas müde. Nachts hat Luzia geweint und ich musste aufstehen.
Sei brav, Lotti, deine Puppe wartet auf dich. Ich muss in der Nähe von Luzia bleiben.«
    Lotte zog
ab.
    Ich bin
keine gute Mutter, dachte Nadine. Nicht mehr. Ich muss etwas tun. Es muss sich etwas
ändern. Ich hole die Zeitung, ich werde Zeitung lesen, während meine Kinder um mich
sind, wie eine normale Mutter. Wenn ich nur das Rad zurückdrehen könnte, wenn wir
wieder unbeschwert sein könnten, Stefan, Lotte und ich. Sie ging ins Haus.
     
    »Lotte«, rief Nadine, »hast du die
Kleine aus dem Wagen genommen?«
    Lotte stoppte
ihre Karawane und sah auf. »Ich bin am Spielen.«
    »Hast du
jemanden gesehen? Luzia ist nicht mehr in ihrem Wagen!«
    »Ich habe
niemanden gesehen. Und du hast gesagt, dass ich Luzia nicht zum Sandkasten nehmen
darf. Wo ist Luzia?«
    »Ich weiß
es nicht. Sie ist nicht mehr in ihrem Wagen. – Ich war zehn Minuten im Haus.« Ihre
Stimme wurde lauter. »Lotte, du musst doch etwas gesehen haben. Ist jemand vorbeigekommen?«
    Das Mädchen
schüttelte den Kopf. Sie stand auf und kam langsam zum Kinderwagen, schaute hinein.
Er war leer. Nur Luzias gelbes Plüschschäfchen lag darin.
    Nadine rannte
zum Haus. Klingelte bei den Nachbarn. Niemand öffnete. Natürlich, Frau Kösch habe
ich gesehen, wie sie zum Einkaufen ging. Frau Gilmann arbeitet. Wettsteins sind
in den Ferien. Niemand im Haus. Ich muss … »Lotte«, sagte sie, »komm ins Haus.«
Mit zitternden Fingern wählte sie die Nummer ihres Mannes. »Stefan«, rief sie, »Luzia
ist nicht mehr da!«
    »Luzia?«,
fragte er. »Du meinst Lotte?«
    »Nein«,
sie weinte beinahe. »Luzia. Sie ist nicht mehr in ihrem Wagen. Ich war doch bloß
ein paar Minuten im Haus. Und jetzt ist sie weg.«
    Schweigen.
    »Stefan,
du musst herkommen.«
    »Ich bin
in ein paar Minuten da.«
     
    Stefan Attinger legte das Telefon
ab.
    »Ist etwas
passiert?«, fragte Peter Brogli, sein Arbeitskollege.
    »Ich muss
nochmals weg«, sagte Stefan. »Meine Frau. Sie sagte, unsere Tochter sei verschwunden.«
Er blickte in Broglis Richtung, aber er schien ihn nicht zu sehen.
    »Soll ich
dem Chef etwas sagen?«, fragte Brogli erschrocken.
    Stefan gab
keine Antwort. Er griff nach seinem Jackett und war weg. Brogli sah ihm nach. Attinger
war schon eine ganze Weile so komisch gewesen. Hatte immer irgendwie unter Spannung
gestanden. Man wusste im Betrieb, dass das zweite Kind irgendeine Behinderung oder
Krankheit hatte. Das hatte Attinger erzählt, ohne in Details zu gehen. Und er hatte
nie Fotos von dem Baby herumgezeigt. Heute Vormittag war er ganz besonders gedrückt
gewesen. Eine halbe Stunde war er weg gewesen, ohne Auskunft zu geben, wo er hingegangen
war. Und jetzt war seine Tochter verschwunden? Das konnte doch eine ganz harmlose
Erklärung haben, sie hatte sich mit einer Spielkameradin verplaudert oder so. Brogli
selbst hatte keine Kinder.
    Stefans
Hände zitterten so, dass er den Autoschlüssel kaum ins Schloss brachte. Jetzt ist
die Katastrophe da, hämmerte es in seinem Kopf. Und es wird kein Happy End geben.
Er fuhr los, den gewohnten Weg, der ihm plötzlich ganz unbekannt vorkam. Fast hätte
er ein Rotlicht überfahren. Vor vier Monaten hatte es begonnen. Da hatte ihr Leben
sich in einen Alptraum verwandelt, in dem sie sich
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