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Kassandra

Kassandra

Titel: Kassandra
Autoren: Christa Wolf
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verletzte, bis ich ihre blonde Mähne um meine Hand wickeln durfte und so erfuhr, wie mächtig die Lust gewesen war, die ich lange schon darauf gehabt. Dein Lächeln in der Minute meines Todes, dacht ich, und hatte, da ich mich keiner Zärtlichkeit mehr enthielt, für lange den Schrecken hinter mir. Jetzt kommt er dunkel wieder auf mich zu.
    Myrine ist mir ins Blut gegangen, im gleichen Augenblick, da ich sie sah, hell und kühn und in Leidenschaft brennend neben der dunklen sich selbst verzehrenden Penthesilea. Ob sie mir Freude oder Leid brachte, loslassen konnte ich sie nicht, aber sie jetzt neben mir zu haben, wünsch ich nicht. Freudig sah ich sie, ein Weib, als einzige sich bewaffnen, als die Männer von Troia gegen meinen Einspruch das Pferd der Griechen in die Stadt holten; bestärkte sie in ihrem Entschluß, bei demUntier zu wachen, ich mit ihr, unbewaffnet. Freudig, wieder in diesem verkehrten Sinn, sah ich sie sich auf den ersten Griechen stürzen, der dem hölzernen Roß gegen Mitternacht entstieg; freudig, ja: freudig! sie fallen und sterben unter einem einzigen Streich. Mich, da ich lachte, schonte man, wie man den Wahnsinn schont.
    Ich hatte noch nicht genug gesehn.
    Ich will nicht mehr sprechen. Alle Eitelkeiten und Gewohnheiten sind ausgebrannt, verödet die Stellen in meinem Gemüt, von wo sie nachwachsen könnten. Mitleid mit mir hab ich nicht mehr als mit anderen. Beweisen will ich nichts mehr. Das Lachen dieser Königin, als Agamemnon auf den roten Teppich trat, ging über jeden Beweis.
    Wer wird, und wann, die Sprache wiederfinden.
    Einer, dem ein Schmerz den Schädel spaltet, wird es sein. Und bis dahin, bis zu ihm hin, nur das Gebrüll und der Befehl und das Gewinsel und das Jawohl der Gehorchenden. Die Ohnmacht der Sieger, die stumm, einander meinen Namen weitersagend, das Gefährt umstreichen. Greise, Frauen, Kinder. Über die Gräßlichkeit des Sieges. Über seine Folgen, die ich schon jetzt in ihren blinden Augen seh. Mit Blindheit geschlagen, ja. Alles, was sie wissen müssen, wird sich vor ihren Augen abspielen, und sie werden nichts sehen. So ist es eben.
    Jetzt kann ich brauchen, was ich lebenslang geübt: meine Gefühle durch Denken besiegen. Die Liebe früher, jetzt die Angst. Die sprang mich an, als der Wagen, den die müden Pferde langsam den Berg heraufgeschleppt hatten, zwischen den düsteren Mauern zum Halten kam. Vor diesem letzten Tor. Als der Himmel aufriß und Sonne auf die steinernen Löwen fiel, die übermich und alles hinwegsahn und immer hinwegsehn werden. Angst kenn ich ja, doch dies ist etwas andres. Vielleicht kommt es in mir zum erstenmal vor, nur um gleich wieder erschlagen zu werden. Jetzt wird der Kern geschliffen.
    Jetzt ist meine Neugier, auch auf mich gerichtet, gänzlich frei. Als ich dies erkannte, schrie ich laut, auf der Überfahrt, ich, wie alle, elend, vom Seegang durchgewalkt, naß bis auf die Haut vom überspritzenden Gischt, belästigt vom Geheul und den Ausdünstungen der anderen Troerinnen, mir nicht wohlgesonnen, denn immer wußten alle, wer ich bin. Nie war es mir vergönnt, in ihrer Menge unterzutauchen, zu spät hab ich es mir gewünscht, zu viel hab ich, in meinem früheren Leben, dazu getan, gekannt zu sein. Auch Selbstvorwürfe hindern die wichtigen Fragen, sich zu sammeln. Jetzt wuchs die Frage, wie die Frucht in der Schale, und als sie sich ablöste und vor mir stand, schrie ich laut, vor Schmerz oder Wonne:
    Warum wollte ich die Sehergabe unbedingt?
    Es traf sich, daß der König Agamemnon, der »sehr Entschlossene« (Götter!), mich in jener Sturmnacht aus dem Knäuel der andern Leiber riß, mein Schrei damit zusammenfiel, andere Deutung nicht brauchte. Ich, ich sei es gewesen, schrie er mich an, besinnungslos vor Angst, die Poseidon gegen ihn aufgehetzt habe. Habe er dem Gott nicht drei seiner besten Pferde vor der Überfahrt geopfert? Und Athene? sagte ich kalt. Was hast du ihr geopfert? Ich sah ihn blaß werden. Alle Männer sind ichbezogene Kinder.
    (Aineias? Unsinn. Aineias ist ein erwachsener Mensch.) Spott? In den Augen einer Frau? Das ertragen sie nicht.Der Siegerkönig hätte mich erschlagen – und das war es, was ich wollte –, hätte er nicht auch vor mir noch Angst gehabt. Immer hat dieser Mensch mich für eine Zauberin gehalten. Ich sollte Poseidon beschwichtigen! Er stieß mich an den Bug, riß mir die Arme hoch zu der Gebärde, die er für passend hielt. Ich bewegte die Lippen. Du armer Wicht, was scherts dich, ob du hier
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