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Karwoche

Karwoche

Titel: Karwoche
Autoren: Andreas Föhr
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sie hatte gute Augen und kannte jeden in Miesbach. Wie kam es, dass sie Manfred bei der Tafel gesehen hatte?
     
    Das alte Mietshaus war dreistöckig, und die Wandfarbe mochte einst grün oder ocker gewesen sein, hatte im Lauf der Jahre jedoch eine graue Patina angenommen. Pro Stockwerk gab es zwei Wohnungen. Wallner bezweifelte, dass jede ein eigenes Klo besaß. Das Gebäude war als preiswerte Unterkunft für Kleinbürger gebaut worden. Jetzt wohnte niemand mehr darin, genau genommen seit gestern. Die letzte Mieterin war Hanna Lohwerk gewesen.
    Auf dem Kiesparkplatz stand der Wagen der Toten. Daneben ein gelber Golf III mit Spoilern und Niederquerschnittsreifen. In dem Sportwagen wartete ein junger Mann in Lederweste und T-Shirt, der sich als Sohn der Hauseigentümerin auswies. Er öffnete den Kommissaren die Wohnung von Hanna Lohwerk und händigte ihnen den Bund mit den Wohnungsschlüsseln aus. Seine Bestürzung über den Tod der letzten Bewohnerin hielt sich in Grenzen. Das Objekt konnte jetzt saniert werden. Auch bat der junge Mann die Kommissare, seiner Mutter eine Liste mit allen Objekten zu schicken, die die Polizei aus der Wohnung entfernen würde. Wegen des Vermieterpfandrechts. Mike sagte, man werde sehen, und verabschiedete den Sportwagenfahrer an der Türschwelle.
    Das Treppenhaus war dunkel und schmutzig. Es roch nach faulenden Früchten, verwesenden Mäusen und – unvermutet – nach Putzmittel. Hanna Lohwerks Wohnung lag unter dem Dach. Hinter der Tür betraten die Kommissare ein anderes Universum.

Kapitel 5
    I m Flur hing ein Spiegel mit vier Glühbirnen an jeder Seite, wie er in Theatergarderoben benutzt wurde. Links und rechts davon Kleiderhaken mit historischen Mänteln, unterschiedlichsten Kleidern, Phantasiekostümen. Die Küche war karg möbliert. Das meiste sah unbenutzt aus. Im Kühlschrank eine angebrochene Packung H-Milch, Ketchup, Marmelade, Margarine und zwei Dosen eines Energy-Drinks. Neben dem Kühlschrank ein Korb mit einer Packung Knäckebrot, fast leer. Das Kochen war nicht Hanna Lohwerks Leidenschaft gewesen.
    Im Wohnzimmer, klein und durch die Dachschräge zusätzlich beengt, hingen Fotos an den Wänden. Sie zeigten bis auf wenige Ausnahmen alle dasselbe Motiv: Hanna Lohwerk. Mal als Rosenkavalier, mal im Tank-Top, verschwitzt, in Tomb-Raider-Pose mit MP -Attrappe, mal in einem Shakespeare-Kostüm. Die Interpretation all dieser Rollen hatte eines gemeinsam: Hanna Lohwerk war immer von der linken Seite zu sehen. Oder sie hatte, falls frontal aufgenommen, den Kopf nach rechts gewandt. Nie war ihre verbrannte rechte Gesichtshälfte im Bild. Wallner und Mike blieben eine Weile vor den Fotos stehen, auf denen eine zerbrechliche Frau von elfenhafter Anmut in all die Rollen geschlüpft war, die sie hätte spielen können, hätte nicht ein Unfall ihr Gesicht entstellt.
    In einem Wandregal standen Videobänder und DVD s. Sie waren mit Jahres- und Monatszahlen beschriftet. Mike legte wahllos ein Video mit der Aufschrift »Mai 2004« in den Rekorder. Es zeigte Hanna Lohwerk in einer Theaterrolle. Die Amateuraufnahme war, wie der Hintergrund offenbarte, hier im Wohnzimmer gemacht worden. Auch auf den anderen Bändern und DVD s waren Aufnahmen der Schauspielerin in bekannten Rollen zu sehen. Immer ohne Partner, immer nur die unversehrte Seite ihres Gesichts zeigend.
    »War scheint’s besessen von ihrer hübschen Gesichtshälfte.« Mike stellte das Video ins Regal zurück und ging die vier Schritte bis zur Tür des angrenzenden Zimmers.
    »Ist wahrscheinlich so, wenn du nur ein halbes Gesicht hast.« Wallner blätterte in einem Fotoalbum, das ebenfalls nicht den geringsten Hinweis auf Hanna Lohwerks Verbrennung enthielt. »Es gibt Menschen, die können ausblenden, was sie nicht sehen wollen.«
    »Frau Lohwerk hat das offenbar nicht getan.« Mike hatte den Nebenraum betreten. Er musste das Licht einschalten, denn das Fenster war mit einem lichtundurchlässigen Stoff verhängt. Ein Bett, ein Kleiderschrank, ein Nachttisch. Auch hier Fotos an den Wänden, auf fast allen Hanna Lohwerk. Im Gegensatz zu den Wohnzimmerfotos war auf diesen Bildern auch die verbrannte Gesichtsseite zu sehen. Einige der Aufnahmen zeigten sogar nur die verbrannte Seite. Darunter Porträtbilder, die augenscheinlich von einem Profi gemacht worden waren. Die Fotosammlung mutete an wie das Making-of eines Horrorfilms.
    Wallner trat hinter Mike in den Raum.
    »Mein Gott – hier hat sie geschlafen?«
    »Sieht so aus. Ich
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