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Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal
Autoren: Libba Bray
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unterzukriegen.
    Einige Kinder nähern sich scheu der Medusa. Sie sind neugierig auf die gewaltige grüne Riesin, die ihren heimatlichen Wald durchstreift. Die Medusa schnellt vor und lässt die Schlangen züngeln und zischen. Die Kinder laufen schreiend davon, durchschauert von einer Mischung aus Furcht und Entzücken.
    »War das nötig?«, frage ich.
    »Ich habe es dir schon gesagt. Ich bin nicht mütterlich.«
    Wir finden Philon auf der Lichtung, wo er den Bau der Hütten beaufsichtigt. Aber es ist nicht nur das Waldvolk, das Balken errichtet und Dächer hämmert. Sie arbeiten Seite an Seite mit den Unberührbaren, den Nymphen, mehreren Gestaltenwandlerinnen. Bessie Timmons schleppt mit starken, sicheren Armen Wasser. Eine kleine Gestaltenwandlerin folgt ihr bewundernd. Ich erspähe sogar einen aus der Winterwelt, der glänzendes Pech auf die Dächer streicht. Im Wald haben sich Wesen aller Arten zusammengefunden, darunter auch Sterbliche. Ascha reicht der Medusa Wasser und die Medusa trinkt und lässt sich nachgießen.
    »Priesterin!« Philon begrüßt mich mit einem Händedruck. »Bist du gekommen, um deinen Platz neben uns einzunehmen?«
    »Nein«, sage ich. »Ich bin gekommen, um für eine Weile Lebewohl zu sagen.«
    »Wann wirst du zurückkommen?«
    Ich schüttle den Kopf. »Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Es ist für mich Zeit, meinen Platz in der Welt einzunehmen – meiner eigenen Welt. Ich werde nach New York gehen.«
    »Aber du bist ein Teil des Magischen Reichs«, erinnert mich Philon.
    »Und das Magische Reich wird immer ein Teil von mir sein. Kümmere dich um die Dinge. Wir werden einige Sträuße auszufechten haben, wenn ich zurückkomme.«
    »Wie kommst du darauf, dass wir uns streiten werden?«
    Ich schenke Philon einen vielsagenden Blick. »Wir müssen über das Magische Reich sprechen. Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass alles glatt verlaufen wird.«
    »Noch mehr Völker haben von unserer Gemeinschaft gehört. Sie werden kommen, um mit uns eine Konferenz abzuhalten.«
    »Gut.«
    Philon nimmt eine Handvoll verbrannter Blätter und bläst hinein. Sie kreiseln und flattern, bis sie die Gestalt des Baums Aller Seelen annehmen. Das Bild bleibt nur einen Augenblick bestehen. »Die Magie ist wieder in der Erde. Eines Tages wird sie hundertfach neu erstehen.«
    Ich nicke.
    »Vielleicht werden wir dich eines Tages in deiner Welt besuchen. Deine Welt könnte ein wenig Magie gebrauchen.«
    »Das wäre wunderbar«, sage ich. »Aber ihr werdet euch anständig benehmen, ja? Keine Sterblichen als Spielzeuge.«
    Philons Lippen kräuseln sich zu einem rätselhaften Lächeln. »Würdest du kommen, um uns zu bestrafen?«
    Ich nicke. »Allerdings.«
    Das Zwitterwesen streckt mir eine Hand hin. »Also lass uns Freunde bleiben.«
    »Ja, Freunde.«
    *
    Die Medusa begleitet mich bis an die Grenze der Winterwelt. »Tut mir leid, aber den letzten Teil der Reise muss ich allein machen«, sage ich.
    »Wie du wünschst«, erwidert sie und verbeugt sich. Sie versucht nicht mir zu folgen, aber sie verlässt mich auch nicht. Sie erlaubt mir, sie zu verlassen. Als ich die Winterwelt betreten habe, sehe ich sie nicht mehr, aber ich fühle sie dennoch.
    Winzige Blüten sind an den Zweigen des Baumes gesprossen. Ihre leuchtenden Farben stoßen durch die knorrige Rinde. Der Baum blüht wieder. Die Winterwelt ist nicht mehr, was sie zuvor gewesen ist. Es ist ein seltsames, neues und unbekanntes Land. Eine andere Magie pulsiert in ihm, geboren aus Verlust und Verzweiflung, Liebe und Hoffnung.
    Ich lege meine Wange an den Baum Aller Seelen. Unter der Rinde klopft sein Herz sicher und stark an meinem Ohr. Ich umschlinge den Baum mit meinen Armen, so weit sie reichen. Wo meine Tränen hinfallen, glitzert die Rinde silbern.
    Die kleine Wendy kommt schüchtern herbei. Sie hat überlebt. Sie ist blass und dünn und ihre Zähne sind spitzer. »Er ist schön«, sagt sie und bewundert die Majestät des Baumes mit ihren Fingern.
    Ich trete zurück und wische mir über die Augen. »Ja, er ist schön.«
    »Manchmal, wenn der Wind durch die Blätter weht, klingt es wie dein Name. Es ist dann wie ein Seufzer«, sagt sie. »Der schönste Klang, den ich jemals gehört habe.«
    Eine leichte Brise streicht durch die Zweige und ich höre es, sanft und leise, ein gemurmeltes Gebet … Gem-ma, Gem-ma … und dann neigen sich die Blätter herab und streichen mit zärtlichen Fingern über meine kalten Wangen.
    »Wendy, es tut mir leid, dass ich
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