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Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren
Autoren: James G. Ballard
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wie
ein Embryo an die Placenta. Erst dadurch, daß diese Schale zerbrochen wurde,
kam er in Aktion, so wie ihn erst der Vorfall im Planetarium in Zweifel über
seine wahren Motive gesetzt hatte, erst jetzt war sein Weg zu seiner inneren,
archäopsychischen Sonne frei geworden. Jetzt mußte er weitergehen, denn sowohl
die durch Riggs repräsentierte Vergangenheit wie die in dieser zerstörten
Wohnung erhalten gebliebene Gegenwart gaben ihm kein Lebensmöglichkeit mehr. Er
war der Zukunft verpflichtet – einer Zukunft, der er bis vor kurzem noch hätte
ausweichen können, die voller Zweifel war und jetzt doch das Absolute, einzig
Mögliche für ihn darstellte.
     
    In der Dunkelheit sah der gewölbte
Rumpf des Depotschiffes wie der samtene Bauch eines Wals aus. Kerans kauerte
sich zwischen zwei Schaufeln des hinteren Rades und spähte durch die
Kettenglieder auf den Platz. Es war kurz vor Mitternacht, die letzten
Plünderergruppen verließen eben den Steg, ein Matrose nach dem anderen
schlurfte – Flasche in der einen, Machete in der anderen Hand – über die
Pflastersteine stadteinwärts. Überall lagen geborstene Kisten und Trommeln,
Knochen und Schlackstücke.
    Kerans wartete, bis die letzte Gruppe
weg war, dann stand er auf und steckte den Colt griffbereit in den Gürtel. Weit
drüben lag Beatrices Wohnblock, die Lichter in ihrem Apartment brannten aber
nicht. Er hatte eigentlich hinaufgehen wollen, sich aber dann gesagt, daß sie
bestimmt an Bord des Schiffes war, als Strangmans Zwangsgast.
    Oben an der Reling erschien eine
Gestalt, verschwand wieder. Eine Stimme schrie, eine andere antwortete. Dann
öffnete sich eine Luke, und ein Eimer voll Küchenabfälle wurde aufs Pflaster
geschüttet. Unter dem Schiff hatte sich bereits eine riesige Pfütze Dreckwasser
gesammelt; wenn es so weiterging, würde das Schiff bald auf seinen eigenen
Exkrementen schwimmen.
    Kerans kletterte über das Schaufelrad
nach oben; unter seinem Gewicht knarrte es ein wenig und gab ein paar
Zentimeter nach, bis die Kette wieder straff lag. Die Achse des Rades wurde von
einem schräg laufenden Balken gehalten, Kerans kletterte darauf hoch, bis er
das Geländer des Passagierdecks erreichen und sich ins Schiff hineinschwingen
konnte. Ein schmaler Gang führte weiter hinauf, Kerans schlich ihn lautlos
entlang; bei jedem Deckübergang hielt er inne und sah nach etwa
zurückgebliebenen Matrosen aus.
    Auf dem Oberdeck eilte er von einer Deckung
zur nächsten, bis zu einer rostigen Winde in der Nähe der Sitzecke. Stühle und
Tische standen jetzt in einer Reihe, nur das Bild lehnte immer noch an den
Schornsteinen.
    Von unten erklangen Stimmen, ein
letzter Matrose ging auf den Platz hinunter. Weit hinten über den Dächern
verglühte eine Rakete. Als es wieder dunkel war, stand Kerans auf und wollte an
dem Bild vorbei zum Abstieg. Plötzlich blieb er stehen, seine Hand griff nach
dem Colt. Kaum fünf Meter von sich entfernt sah er das rotglühende Ende einer
Zigarre, es schien für sich in der Luft zu schweben. Kerans stand auf
Zehenspitzen, er traute sich weder vor noch zurück und starrte angespannt in
die Dunkelheit um den Glühpunkt bis er den weißen Rand der Mütze des Admirals
entdeckte. Gleich darauf spürte er schon den Geruch der Zigarre und sah den
Widerschein der glühenden Spitze in den Augen des Mannes, der sich jetzt
umdrehte und das Deck beobachtete. Unter dem Arm trug er ein Gewehr, die
Silhouette des Kolbens stak über das Geländer hinaus. Die Zigarre wechselte in
eine Mundecke, weißer Rauch paffte hervor, wie Silberstaub stieg die Wolke in
die Luft. Einige Sekunden lang blickte der Admiral genau in Kerans Richtung,
hielt ihn aber offenbar für eine Gestalt auf dem Bild, denn er trollte sich gemütlich.
    Kerans ging vorsichtig, Schritt für
Schritt zum Rand des Bildes vor und duckte sich dann in den Schatten dahinter.
Aus der Einstiegluke schien ein Lichtkegel auf das Deck. Kerans schlich sich,
den Colt in der Hand, zur Luke und ging langsam, Stufe um Stufe zum Spieldeck
hinunter; jede Tür, jeden Gang beobachtete er, ob sich dort nichts bewegte,
suchte nach Gewehrmündungen zwischen Vorhangfalten. Strangmans Apartment lag
direkt unter der Kommandobrücke, der Zugang war in einem Alkoven hinter der Bar.
    Er wartete bei der Tür, bis ein
metallenes Klirren in der Küche die erwünschte Geräuschkulisse gab, drückte
rasch die Klinke hinunter und trat leise ein. Drinnen, im Vorraum, brannte kein
Licht. Als er sich an die
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