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Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Titel: Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
Autoren: David Graeber
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an verrückte Wissenschaftler erinnernden weißen Kitteln und den tanzenden Zombies –, wirkte in diesem Zusammenhang seltsam passend.

Le Havre
    Den Anstoß zu der Blockade der Coryton-Raffinerie hatte ein Aufruf des Climate-Justice-Action-Netzwerks gegeben, ein neu entstandenes internationales Netzwerk, das im Vorfeld der Protestaktionen in Kopenhagen im Dezember 2009 ins Leben gerufen worden war. Eigentlich war die Aktion als eine Art Anti-Kolumbus-Tag gedacht, ein Aktionstag für den Erhalt der Erde, zu dem indigene Völker aufgerufen hatten. 25 Doch gleichzeitig fand sie im Windschatten einer mit Bangen erwarteten Ankündigung der konservativen Regierung statt, die vier Tage später, also am 20. Oktober, massive Ausgabenkürzungen bekannt geben wollte. Die ohnehin kläglichen Überreste des britischen Sozialstaats sollten, von der Unterstützung von Rentnern über Jugendzentren bis hin zur Bildung, weiter beschnitten werden. Es handelte sich um die drastischsten Einschnitte seit der Weltwirtschaftskrise 1929. Die große Frage, die sich jeder stellte, lautete: Würde es eine verheerende Reaktion darauf geben? Schlimmer noch, war es überhaupt denkbar, dass eine solche Reaktion ausblieb? Jenseits des Ärmelkanals, wo die konservative Regierung mit ähnlichen Sparmaßnahmen gedroht hatte, war es bereits zu ersten Gegenreaktionen gekommen. Das französische Klimacamp Camp Action Climat hatte schon seit längerem eine ähnliche Blockade wie die unsere geplant, und zwar in der Total-Raffinerie in Le Havre, der größten Raffinerie Frankreichs. Am Vorabend ihrer für den 16. Oktober geplanten Aktion stellten
sie jedoch fest, dass die Raffinerie bereits von den dortigen Arbeitern besetzt worden war. Im Rahmen einer landesweiten Protestaktion gegen die Rentenreform wurden elf der zwölf Ölraffinerien in Frankreich bestreikt und blockiert. Die Umweltaktivisten entschieden rasch, ihre Aktion trotzdem fortzuführen, und errichteten zunächst eine symbolische Blockade. Anschließend lieferten sie sich fast den ganzen restlichen Tag über ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei. Wieder und wieder versuchten sie, durch die Polizeiabsperrung zu gelangen, um sich mit den Arbeitern zu verbünden. Doch die Staatsgewalt zeigte sich ebenso eisern entschlossen, einen derartigen Dialog zu verhindern. (Schlussendlich kamen dreizehn Fahrräder durch.)
    »Ohne soziale Gerechtigkeit wird es auch keine Umweltgerechtigkeit geben«, erklärte danach einer der französischen Klimacamp-Aktivisten. »Dieselben Leute, die die Arbeiter ausbeuten und ihre Rechte bedrohen, zerstören auch den Planeten.« Das ist natürlich richtig. »Die Arbeiter, die jetzt ihre Fabrikanlagen blockieren, halten eine entscheidende Macht in Händen; jeder Liter Öl, der dank ihnen nicht gefördert wird und stattdessen im Boden verbleibt, rettet Menschenleben, denn dadurch werden Klimakatastrophen vermieden.«
    Doch haben die französischen Ölarbeiter wirklich für ihr Recht gestreikt, ihr Ölarbeiterdasein beenden zu dürfen? Auf den ersten Blick mögen solche Aussagen von erschütternder Naivität zeugen. Doch in Wirklichkeit war genau dies der Grund für den Streik. Die Arbeiter haben gegen Reformen mobil gemacht, in deren Rahmen das Renteneintrittsalter von 60 auf 62 Jahre angehoben werden sollte. Und sie gingen, zusammen mit weiten Teilen der französischen Bevölkerung, auf die Barrikaden, um auf ihr Recht zu pochen, keine Minute länger als erforderlich Ölarbeiter sein zu müssen.
    Es wäre interessant, einmal darüber nachzudenken, weshalb die Polizei so entschlossen war, ein Zusammentreffen zwischen Umweltaktivisten und Erdölarbeitern zu unterbinden. Ein solcher Dialog wäre sicherlich sinnvoll; ein Dialog, in dessen Rahmen der grundlegende Charakter von Geld, Wert, Arbeit und Produktion erörtert wird und man über die Funktionsweise der globalen Arbeitsmaschine diskutiert, die die schiere Möglichkeit eines nachhaltigen Lebens auf diesem Planeten zu zerstören droht. Einen solchen Dialog wollen die Machthabenden jedoch um jeden Preis verhindern. Angesichts dessen ist die Tatsache, dass Arbeiter gestreikt hatten, und zwar nicht für mehr Geld, sondern, wie bescheiden und verhalten auch immer, gegen Arbeit , von enormer Bedeutung.

Die produktivistische Übereinkunft und das Paradox des 20. Jahrhunderts
    Eines der größten Paradoxe des 20. Jahrhunderts ist, dass jedes Mal, wenn eine politisch mobilisierte Arbeiterklasse auch nur ein Minimum an
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