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Kammerspiel: Der fünfte Fall für Rünz (German Edition)

Kammerspiel: Der fünfte Fall für Rünz (German Edition)

Titel: Kammerspiel: Der fünfte Fall für Rünz (German Edition)
Autoren: Christian Gude
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amüsiert Sie so?
     
    Klient: Na ja,
ich denke gerade an diese alten Detektivfilme. Kommt da nicht immer gleich am Anfang
eine mysteriöse, schöne Blondine ins Büro, reicht einen Umschlag mit Geld über den
Tisch und gibt dem abgehalfterten Schnüffler einen Auftrag, an dem er sich so richtig
die Finger verbrennt?
     
    Detektiv: Sie
haben recht. Als Femme fatale gehen Sie natürlich nicht durch, aber das mit dem
Umschlag wäre doch schon ein prima Einstieg! Und Ihr Auftrag, ist der wirklich so
heiß?
     
    Klient: Sicher
nicht für einen Mann mit Ihrer Erfahrung. Wo soll ich anfangen? Nun, ich arbeite
als Psychoanalytiker hier in Darmstadt. Was ist los, Sie schauen so seltsam, habe
ich etwas Falsches gesagt?
     
    Detektiv: Nein,
überhaupt nicht, entschuldigen Sie. Es ist nur so: meine Erfahrungen mit Seelenärzten
sind eher durchwachsen.
     
    Klient: Sie
haben selbst eine Psychoanalyse hinter sich?
     
    Detektiv: Nein,
eine Paartherapie. Mit meiner Frau.
     
    Klient: Und?
War sie nicht erfolgreich?
     
    Detektiv: Wie
man’s nimmt. Die Scheidung läuft.
     
    Klient: Nun,
ohne die Arbeit meines Kollegen – oder meiner Kollegin – schönreden zu wollen: Das
muss kein Misserfolg sein! Aber ich kann Sie beruhigen, ich habe völlig andere Schwerpunkte.
Ich arbeite mit Menschen, die eine Transplantation hinter sich haben. Menschen,
die mit Organen Verstorbener leben. Den meisten meiner Patienten geht es physisch
gut, sie können ein annähernd normales Leben führen. Aber der Gedanke an eine fremde
Niere oder gar ein fremdes Herz in ihrem Körper belastet sie, bei manchen reicht
das bis an die Grenze des Erträglichen. Eine psychische Abstoßungsreaktion, wenn
Sie so wollen.
     
    Detektiv: Es
geht also um einen Ihrer Patienten?
     
    Klient: Nennen
wir ihn vorerst Patient X – so lange wir noch keine feste Vereinbarung getroffen
haben. X ist 24 Jahre alt und lebt hier in Darmstadt. Er hatte vor vier Jahren eine
irreversible chronische Herzinsuffizienz, Folge einer zu spät diagnostizierten Herzmuskelentzündung.
Vor zwei Jahren wurde ihm an der Uniklinik in Frankfurt ein Spenderorgan implantiert,
mit weitgehend komplikationsfreiem postoperativem Verlauf und guter Prognose. Er
entwickelte allerdings recht bald nach der Operation manisch-depressive Symptome,
litt unter massivem Steuerungsverlust, der die lebensnotwendige Dauermedikation
gefährdete.
     
    Detektiv: Seit
wann ist er bei Ihnen in Behandlung?
     
    Klient: Seit
anderthalb Jahren. Anfangs kam er zweimal pro Woche. In den letzten sechs Monaten
haben wir hochfrequent gearbeitet, mit vier Sitzungen wöchentlich.
     
    Detektiv: Mein
Gott, ein hoffnungsloser Fall …
     
    Klient: Überhaupt
nicht! Wir haben gute Fortschritte gemacht. Aber die Arbeit an der Seele hat ihr
eigenes Tempo.
     
    Detektiv: Wenn
ich anderthalb Jahre lang gute Fortschritte machen würde, wäre ich Innenminister!
Konnten Sie ihm helfen?
     
    Klient: Dann
säße ich wahrscheinlich nicht bei Ihnen. Die meisten Transplantierten lernen in
der Therapie mühsam, das als fremd empfundene Organ als etwas Eigenes anzuerkennen.
Doch Patient X war viel krasser und entschiedener in der Ablehnung seines neuen
Herzens als alle anderen, die ich behandele oder jemals behandelt habe. Er empfand
das Organ nicht nur als Fremdkörper, sondern als potenzielle Bedrohung. Als Kontaminationsquelle,
als Beschmutzung und Besudelung seines Körpers. Sein emotionales Verhältnis zu seinem
neuen Organ schwankte zwischen Hass und Ekel.
     
    Detektiv: Kannte
er vielleicht den Spender?
     
    Klient: Absolut
ausgeschlossen, so etwas gibt es nur bei Lebendspenden in Familien. Diese Transplantationen
werden von ›InterTransplant‹ hundertprozentig anonym vermittelt. Ich hatte schon
recht früh den Eindruck, dass eine neurotische Störung vorlag, die mit der Operation
nichts zu tun hatte. Eine Neurose, die seine Ablehnung gegen das Herz weit über
das normale Maß hinaus verstärkte. Um dieser Störung auf den Grund zu gehen, versuchte
ich, ihn dazu zu bringen, in der Analyse frei zu assoziieren, über was auch immer
ihm gerade einfiel. Nach einer Weile stellte er fest, dass er in mir einen ausdauernden
Zuhörer gefunden hatte, ganz egal, worüber er sprach. Von Stunde zu Stunde redete
er weniger über die Transplantation und sein neues Herz. Aber nicht, um sich mit
seinem Leben und seinen Ängsten, seiner Kindheit und Jugend zu beschäftigen, wie
die meisten meiner Patienten. Er begann, über Gesellschaft und Politik zu
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