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Kalter Mond

Kalter Mond

Titel: Kalter Mond
Autoren: Giles Blunt
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unauffälliger Mieter gewesen, der einen im Aufzug höflich grüßte, zurückgezogen lebte und keinen Ärger machte.
    Cardinal öffnete eine weitere von Delormes Akten. Zu ihren vielen Vorzügen zählte es, dass Delorme schlüssige wie auch detaillierte Berichte schrieb. Doch in all ihren umfangreichen Notizen aus dem Krankenhaus, von der Anthropologin und vom Frauenhaus war nichts dabei, auf das er geflogen wäre. Nichts, was ihnen verraten hätte, wo Raymond Beltran oder auch Terri Tait sich derzeit befanden.
    Cardinal blätterte Delormes Unterlagen noch einmal durch. Selbst wenn ihr Einsatz, wie im Frauenhaus, ohne Ergebnis geblieben war, hielt sie es gewissenhaft fest. Sie hatte sogar die Zeichnung abgeheftet, die sie aus Terris Zimmer hatte mitgehen lassen.
    Cardinal war sich nicht sicher, wie weit Terris schauspielerische Talente reichten, doch ihre Begabung zum Zeichnen war beachtlich. Die Federn des Vogels waren schön konturiert, und der Bogen der Flügel vermittelte sehr genau …«
    Cardinal sah auf und starrte an die gegenüberliegende Wand. Er betrachtete das Foto von Jerry Commanda am Eagle Park. Er schnappte sich die Zeichnung und hielt sie neben das Bild.
    Zwei Sekunden später war er in Chouinards Büro.
    Der Detective Sergeant legte die Zeichnung neben die Aufnahme auf seinem Tisch. Cardinal beobachtete, wie seine Augen von einem Bild zum anderen wanderten. Während er überlegte, klopfte Chouinard mit seinem Stift auf die Platte. Schließlich sagte er: »Die sind identisch. Ich würde daraus schließen, sie ist da gewesen. Stellt sich die Frage, welche Konsequenzen wir daraus ziehen.«
    »Eagle Camps hatte zwei Lager am See. Eins am Südufer und eins oben am French River. Sie haben beide diese Tore mit dem Adler obendrauf.«
    »Wir haben nicht genug Leute, um sie zu beiden zu schicken. Welches ist Ihrer Meinung nach das wahrscheinlichere?«
    »Das am Südufer liegt näher an der Stelle, wo Tilley und Guthrie gefunden wurden. Andererseits ist das am Nordufer näher an der Hütte, wo sie die Viking Riders beklaut haben. Es können beide sein.«
    »Und keins davon liegt in unserem Zuständigkeitsbereich.« Chouinard schwieg, während er überlegte und sein Stift rata-ta-tat auf die Tischplatte hämmerte. »Na schön. Sie nehmen das Südufer. Aber Sie nehmen Alan Clegg mit.«
    »Delorme sollte mit von der Partie sein.«
    »Sie ist gerade draußen bei der OPP, also näher am French River. Das ist sowieso deren Revier. Sie soll mit Jerry Commanda da raus. Ich werde hier eine Spezialeinheit zusammentrommeln. Wer von Ihnen beiden zuerst fündig wird und sich hier meldet, kriegt Verstärkung.«

54
     
    D ie Rush Hour war vorbei. Sobald sie die Einkaufszentren hinter sich hatten, trat Cardinal aufs Gas.
    »Üben Sie für die Formel eins?«
    Cardinal schielte zu Clegg hinüber. Er machte ein freundliches, kein kritisches Gesicht.
    »Der Kerl, nach dem wir suchen, verdient sein Geld damit, Leute zu zerstückeln. Ich will nicht, dass das mit Terri Tait passiert.«
    »Falls er sie hat.«
    »Ist sicherer, als anzunehmen, er hätte sie nicht.«
    Corporal Clegg verstellte die Rückenlehne und machte es sich bequem. Er faltete die Hände im Schoß und betrachtete die vorbeirasende Landschaft: die Felseinschnitte, das Trianon Hotel, die Abzweigung nach Ottawa. Danach kamen nur noch Berge und Bäume.
    »Wie lange sind Sie denn schon bei der Polizei?«
    Cardinal zuckte die Achseln. »Sagen wir mal, ich könnte bei voller Pension in den Ruhestand, wenn ich wollte.«
    Clegg lachte. »Aber Sie wollen nicht? Bei Leuten wie Ihnen muss ich immer an diese Typen denken, die im Lotto gewinnen, ich meine, den Hauptgewinn. Sie haben einen Job, bei dem sie in einem Hochhaus die Glühbirnen austauschen oder so, und sie gewinnen fünfundzwanzig Millionen und geben ihren Job nicht auf.«
    »Sie kriegen fünfundzwanzig Millionen Pension? Da müssen die das Budget der RCMP ja mächtig aufgestockt haben.«
    »Wir kommen aus.«
    Cardinal bog auf die Nosbonsing Road ab. Sie war seit demletzten Mal, als er hier draußen war, geteert worden. Sie kamen an einer Hand voll Bauernhöfe vorbei, dann verengte sich die Straße, und sie holperten durch die Wälder, wo die Phalanx vorübersausender Bäume nur noch selten von einer Einfahrt oder einem Briefkasten unterbrochen wurde. An die Windschutzscheibe prasselten Insekten.
    »Wie wollen Sie also vorgehen?«, fragte Clegg.
    »Wir improvisieren. Als Erstes müssen wir in Erfahrung bringen, ob das
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