Kalte Fluten
Brüste waren von jeweils drei Streifen schwarzen Leders umgeben. Metallringe hielten die Streifen zusammen. An den beiden unteren Ringen waren zwei Lederriemen befestigt, die zu einem weiteren Metallring knapp über ihrem Schritt führten. Eine daran befestigte Messingkette lief durch den Schritt und die Poritze bis zum Rücken hinauf. Dort traf sie auf die beiden Ketten, die von den Brustriemen nach oben und über die Schultern führten. Sonst trug sie, außer hochhackigen Schuhen, nichts. Sie war exhibitionistisch. Sie war devot. Sie war verboten. Hier durfte sie es sein.
Michael trug eine martialische Lederkluft. Er demonstrierte seine dominante Ader ebenfalls durch sein Äußeres. Sie waren ein perfektes Paar. Wo sonst konnten sie dies zeigen?
Günter ging ins Erdgeschoss in den Speisesaal, wo Karins Vater ein opulentes, selbst unter Anlegung verwöhnter Maßstäbe lukullisches Büfett für die Gäste vorbereitet hatte. Im »Ceasar’s Palace« erhielt man für den Eintritt alles inklusive. Karins Vater hatte früher in den Räumen eine Pension mit Restaurant betrieben. Davon lebten sie mehr schlecht als recht. Heute boten sie ein liberales, offenes und gepflegtes Haus. Dafür waren ihre Gäste bereit, gut zu zahlen. Natürlich war es nicht verboten, was sie hier taten. Aber Günter wusste nur zu genau, dass seine Promiskuität oder Christines Hang zu Sadomaso-Spielchen ihre bürgerlichen Karrieren und ihre gesellschaftliche Akzeptanz ganz schnell beenden würden, wenn sie sie außerhalb der beruhigenden Diskretion dieses Clubs auslebten. Keiner würde es aussprechen, aber alle würden ihn ausgrenzen. Wiebke zuallererst.
Günter genoss das Lachsfilet. Er betrachtete die Gäste, die sich jetzt, um etwa zehn Uhr abends, im Bar- und Restaurantbereich aufhielten. Freizügige Menschen. Frei in ihrer Sexualität. Entspannt, weil sie sich nicht schämen mussten. Jeder wurde so akzeptiert, wie er war, solange er das Gleiche beim anderen tat.
Manche schätzten nur, sich zu zeigen. Andere genossen den Kick, mit einem anderen Paar die Partner zu tauschen. Nymphomane Frauen hatten die Gelegenheit, endlich so viele Männer gleichzeitig zu genießen, wie sie es sich sonst nur in ihren feuchten, einsamen Nächten erträumten. Wieder andere kamen, um im Gewühl nackter Körper in Ekstase puren, rein körperorientierten Sex zu erleben. Nur Fleisch. Nur Geilheit.
Bisexuelle Neigungen. Sadomasochistische Orgien. Eigentlich kam es praktisch nicht vor, dass bis drei oder vier Uhr morgens nicht jeder Gast für seine individuellen Gelüste das entsprechende Pendant gefunden hatte, um sich danach in der Wellness-Zone im ersten Stock im Whirlpool, in der Sauna, im Solarium oder einfach auf dem Kissenparadies vor dem Kamin zu entspannen.
Günter wusste schon jetzt, dass sich die lange Fahrt gelohnt hatte, egal, was passieren würde. Hier war er mit Gleichgesinnten zusammen. Hier fühlte er sich wohl.
***
Wiebke hatte es gerade noch pünktlich geschafft. Sie war gestylt, frisiert, fertig angekleidet und hatte sich sogar schon für ein passendes Paar Schuhe zu ihrem schwarzen Cocktailkleid entschieden. Gar nicht so einfach, wenn man wie Wiebke viele davon zur Auswahl hatte.
Thomas Schulte traf erwartungsgemäß pünktlich auf die Minute ein. Um neunzehn Uhr dreißig klingelte er an der Tür, und Wiebke ärgerte sich, dass ihr Puls raste. Sie meinte, dass er sehen würde, wie ihr Herz pochte.
»Guten Abend, Frau Sollich«, sagte er und überreichte ihr einen Strauß langstieliger roter Rosen. »Ich freue mich, dass Sie heute Abend Zeit haben.«
»Ich freue mich auch, Herr Schulte«, erwiderte sie und fragte sich, ob sie nicht »Herr Dr. Schulte« hätte sagen müssen. Aber die Siezerei würde sie ohnehin in einer halben Stunde beseitigt haben.
Sie stellte die Rosen in eine Vase, platzierte diese auf dem Wohnzimmertisch ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung und bemerkte dann: »Ich wäre fertig. Wir können.«
»Sie sehen wunderbar aus. Wie ich immer geschrieben habe: eine ausnehmend schöne Frau.«
Wiebke wurde rot. Sie stammelte ein »Danke«.
Jetzt nimm doch endlich meine Hand, dachte sie mehrfach auf dem etwa zehn Minuten dauernden Spaziergang zum Restaurant. Wiederholt berührte ihre wie zufällig die seine. Aber Thomas machte keine Anstalten.
Er ist eben ein Gentleman, Wiebke.
Ja, Mama.
»Erlauben Sie?«, fragte er im Restaurant, bevor er ihre Jacke nahm und sie zusammen mit seiner eigenen dem Empfangskellner zur Aufbewahrung
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