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Kalt

Kalt

Titel: Kalt
Autoren: Dean R. Koontz
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war geblieben. Dylan und Jilly standen kaum mehr als zwei Minuten am Geländer, als jener erschien. Auf einem schwarz lackierten kleinen Tablett, das mit einem eingelegten Seerosenblatt aus Perlmutt verziert war, brachte e r C ocktails, zwei perfekte trockene Martinis – gerührt, nicht geschüttelt.
    Schlank, aber drahtig bewegte Ling sich mit der Anmut eines Ballettmeisters und mit der ruhigen Selbstsicherheit eines Mannes, der wahrscheinlich den Schwarzgurt im Taekwondo erworben hatte. Er war erst etwa fünfunddreißig Jahre alt, doch in seinen ebenholzfarbenen Augen konnte man die wohl kondensierte Weisheit uralter Zeiten ablesen. Als Jilly und anschließend Dylan ihren Martini von dem Seerosentablett nahmen, neigte er jeweils leicht den Kopf und sagte mit freundlichem Lächeln ein chinesisches Wort. Es war zweimal dasselbe, ein Wort, das Jilly irgendwie als Willkommensgruß und als Wunsch für ihr Wohlergehen erkannte. Dann verschwand Ling fast so diskret wie ein sich in Luft auflösender Geist; wäre es Winter und die Terrasse mit Schnee bedeckt gewesen, so hätte er womöglich weder beim Kommen noch beim Gehen Fußspuren hinterlassen.
    Auch das war auf unheimliche Weise so, wie es sein sollte.
    Während Jilly und Dylan die perfekten Martinis und den Blick genossen, blieb Shepherd im Wohnzimmer. Er hatte eine Ecke gefunden, die ihm gefiel und in der er ein, zwei Stunden lang stehen konnte, sodass die Sinnesreize auf die Betrachtung zweier sich begegnender Wände beschränkt blieben.
    Plus ça change, plus c ’ est la même chose, wie es bei den Franzosen hieß – » Je mehr sich alles ändert, desto mehr bleibt es beim Alten. « So, wie Shepherd nun in der Ecke stand, verkörperte er die Komik und die Tragik dieser Wahrheit. Er stellte gleichermaßen die Frustration und die würdevolle Duldung dar, die sich darin ausdrückte, aber auch die melancholische Schönheit dieser Worte.
    Da die Sendung von Parish an sechs Abenden pro Woche, von Montag bis Samstag, landesweit von über fünfhundert Rundfunkstationen ausgestrahlt wurde, wäre er normalerweise bei der Arbeit gewesen, während die Dämmerung ihre violetten Schleier über den See warf. In dem mit allen technischen Raffinessen ausgestatteten Studio im Keller seines Hauses konnte er Anrufe aus der Schar seiner zehn Millionen Hörer entgegennehmen, mit seinen Interviewpartnern telefonieren und mit der Unterstützung von Ling und einem Toningenieur seine Sendung machen. Die eigentliche Produktion fand in San Francisco statt, wo die Anrufer ausgesiebt und zu Lantern durchgestellt wurden und wo das kombinierte Tonmaterial gefiltert und für die fast zeitgleiche Ausstrahlung aufbereitet wurde.
    Wie am ersten Abend nach der Injektion mit Proctors Zeug verzichtete Parish jedoch auch an diesem Samstag auf seine übliche Livesendung und brachte stattdessen eine Zusammenstellung von Höhepunkten aus seinem Archiv.
    Kurz bevor die drei Gefährten zum Dinner mit ihrem Gastgeber erwartet wurden, sagte Jilly zu Dylan: » Ich werde jetzt mal kurz meine Mutter anrufen. Bin gleich zurück. «
    Sie ließ ihr leeres Cocktailglas auf dem Geländer stehen und faltete sich zu einer schattigen Ecke des Gartens hinter dem Hotel Peninsula in Beverly Hills. Ihre Ankunft blieb unbemerkt.
    Jilly hätte sich überallhin falten können, um den Anruf zu machen, aber sie mochte das Hotel. Mit seinen fünf Sternen gehörte es zu jener Kategorie, die sie sich früher immer hatte leisten wollen, sobald ihre Bühnenkarriere einmal in Schwung gekommen war.
    In der Halle fütterte sie ein öffentliches Telefon mit Münzen und wählte die vertraute Nummer.
    Ihre Mutter hob beim dritten Läuten ab. Und als sie Jillys Stimme erkannte, sprudelte es nur so aus ihr heraus: » Wie geht es dir, Kleines, bist du verletzt, was ist denn mit dir geschehen, Liebes – Gott möge dich beschützen –, wo bist du bloß? «
    » Ganz ruhig, Mama, es geht mir gut. Ich wollte dir nur sagen, dass wir uns in den nächsten ein, zwei Wochen nich t s ehen können, aber ich werde herauskriegen, wie wir möglichst bald zusammenkommen können. «
    » Jilly, Liebes, seit der Sache in der Kirche sind lauter Leute vom Fernsehen und von den Zeitungen hier gewesen, alle so unverschämt wie irgendso ein Sozialamtsbürokrat, den man auf eine Zwiebackdiät gesetzt hat. Sie sind sogar jetzt noch da draußen mit ihren Sendewagen, machen Krach und werfen ihre dreckigen Zigarettenstummel und ihre Schokoriegelhüllen auf die
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