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Kalt kommt der Tod (German Edition)

Kalt kommt der Tod (German Edition)

Titel: Kalt kommt der Tod (German Edition)
Autoren: Hannes Sprado
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schwindelerregenden Aufschwung war der Konzern beinahe zahlungsunfähig gewesen, nur eine großzügige Geldspritze der Bundesregierung und der Stadt Bremen hatte ihn gerade so über Wasser halten können.
    Mittlerweile hatte O. C. Riesenberg alle Subventionen bis auf den letzten Cent zurückgezahlt, einschließlich Zinsen. Es gab schon lange niemanden mehr, dem er etwas schuldete, weder Geld noch Dank.
    Aus Richtung der mittelalterlichen Martini-Kirche kommend, drückte der Nordwind die Weser flussaufwärts. Packer fror wie lange nicht mehr und zog die Jacke enger um sich. Federleichte Schneeflocken schwebten um ihn herab und bedeckten seine Kapuze.
    Den Motorroller hatte er vor einem bayerischen Lokal an der Schlachte stehen lassen, der Uferpromenade, einer Vergnügungsmeile mit Bars und internationalen Restaurants, wo ein Roller nicht weiter auffiel.
    Auf der Fußgängerbrücke blieb er stehen und blickte zum sechsstöckigen Gebäude der Reederei hinüber, das in der Form eines Schiffsrumpfes errichtet worden war. In einigen Fenstern brannte Licht. Die unterschiedlichen Zeitzonen im Vierundzwanzig-Stunden-Rhythmus der Erde erforderten von den Angestellten Einsatzbereitschaft rund um die Uhr.
    Das oberste Stockwerk war hell erleuchtet.
    Die Lobby war ganz in Weiß gehalten. Große Hochglanzfotos mit Ozeanmotiven und Riesenberg-Schiffen schmückten die Wände. Unter den mürrischen Blicken der Empfangsdame schüttelte sich Packer den Schnee von der Jacke.
    »Sagen Sie dem Alten bitte, dass ich da bin.«
    »Es ist schon spät, und ich …«
    »Er weiß, dass ich hier bin, glauben Sie mir.«
    Sie griff zum Hörer, wandte sich ab und tuschelte in den Apparat. Zwischendurch schwenkte ihr Blick zu Phong. Sie legte auf, sagte: »Die Fahrstühle sind gleich da vorn um die Ecke. Sechster Stock. Ich wünsche Ihnen einen besonders schönen Abend.«
    Weiße Zähne, roter Lippenstift, einstudiertes Lächeln.
    Packer fragte sich, ob diese Frauen nach Feierabend auch so redeten, wenn ja, legte er keinen Wert darauf, sie näher kennenzulernen.
    Oben erwartete ihn ein Klon: weiße Zähne, roter Lippenstift, einstudiertes Lächeln.
    »Willkommen bei der Riesenberg Line«, sagte die Frau im engen blauen Kostüm. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
    Und ob er das wollte, hinter ihr hergehen. Denn sie wackelte mit einem derartigen Hüftschwung voran, dass Packer wie ein Magnet an ihren ausladenden Hüften klebte.
    »Hierhinein«, sagte sie und stieß eine Doppeltür auf, die in ein Büro von der Größe einer Kaufhausetage führte.

9
    Da waren sie. Alle, auf die es ankam. Und mittendrin – hoppla, wer war das denn? – Big Kokina, der Huren-aus-dem-Fenster-Schmeißer.
    Packer beschloss, ihn vorläufig zu ignorieren, stattdessen hielt er sich an O. C. Riesenberg.
    Die weit offenen Augen des Patriarchen blickten stetig und unverwandt, aber auch forschend, doch heute war nichts Besitzergreifendes in diesem Blick, nichts Sieghaftes, nichts Auftrumpfendes.
    Sein gut geschnittener beigefarbener Anzug konnte den Umstand nicht verbergen, dass er zwanzig Kilo zugelegt hatte, seit Packer ihn das letzte Mal gesehen hatte.
    Und dann, plötzlich, war er wieder da, der alte Kommandoton von O. C. Riesenberg: »Wieso kommst du erst jetzt?«
    »Bin falsch abgebogen. Tun wir das nicht alle irgendwann?«
    Packer steuerte auf einen Ledersessel zu und ließ sich hineinfallen.
    »Du hättest nicht kommen müssen«, sagte Kurt Vollmer. Der Schwiegersohn von Riesenberg stand so aufrecht da wie ein angepfiffener Schüler. »Ich war dagegen, dich hinzuzuziehen. Was soll dabei rauskommen?«
    Carolins Ehemann sah unbestreitbar langweilig aus. Und war wirklich hübsch angezogen. Schwarzhaarig, ein südländischer Typ. Er trug einen marineblauen, sehr englischen Blazer mit einer Doppelreihe von Messingknöpfen zu einem blauen Hemd mit hohem Kragen, um seinen Hals kürzer wirken zu lassen. Der Hals wurde von dem engen Windsorknoten einer gestreiften Krawatte abgeklemmt. Ein nervöser Tick brachte sein rechtes Augenlid zum Vibrieren.
    »Das habe ich mir auch überlegt«, erwiderte Packer.
    »Und warum nicht getan?«
    Packer betrachtete die Einrichtung: Den Fußboden, üppig mit hochflorigem Braun ausgelegt. Den antiken Spiegel, verschwenderisch nachvergoldet. Das englische Kontorhausmobiliar und die beiden echten Kandinsky-Gemälde hinter dem Schreibtisch. Er legte eine fast übermenschliche Selbstbeherrschung an den Tag, eine Ruhe, die beinahe herablassend
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