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Kaktus zum Valentinstag

Kaktus zum Valentinstag

Titel: Kaktus zum Valentinstag
Autoren: P Schmidt
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hier Peine!«, das war die stereotype Bahnhofsansage, wenn ein Zug hielt. Die habe ich gerne papageienartig nachgesprochen. Als wir schließlich den Weg zum Haus rauffahren, die Via Silencia, und der blaue »Bus«, unser Auto, mit uns in der Garage steht, starre ich auf die Autokennzeichen vor uns an der Wand:
    H – AK 1747
    GG – KB 960
    PE – OQ 37
    »Mau, bitte bleib sitzen, wir müssen heute nach langer Zeit mal wieder eine Auto-Session machen!«
    »Auto-Session? Das hatten wir aber schon lange nicht mehr! Was ist los?«
    »Ich bin T-T-T!« Dann regnet es aus meinen Augen.
    »Was ist passiert? Gab es Ärger in der Firma?«
    »Nein, da ist alles okay, soweit ich dies erkennen kann – soweit ich dies erkennen kann – soweit ich dies erkennen kann!«, papageie ich, denn nun weiß ich ja – vorher spürte ich nur, jetzt weiß ich ja –, dass ich tatsächlich genau damit auch ein echtes Problem habe.
    »Was ist es dann? Hat es was mit mir zu tun?«
    »Nein, ganz alleine mit mir! Ich – ich habe vorgestern den – den – den –«
    »Wassss deeeeeehhhn?«
    »Den
    SCHLUSS-STEIN
    gefunden, den Stein, der alles erklärt, was mit mir los ist.«
    »Wovon redest du? Was für einen Schlussstein?«
    »Hast du mich wirklich lieb? Kannst du so einen Außerirdischen wie mich wirklich lieben?«
    »Ja, aber sicher, du hast zwar Fehler, aber wer hat die nicht? Also hat es doch was mit mir zu tun?«
    »Nein! Ganz allein mit mir. Mit dir nur insofern, dass ich mich frage, wie du dich für mich entscheiden konntest, nach allem was ich vorgestern, gestern und heute über mich im Internet gelesen habe!«
    »Im Internet hat jemand was über dich geschrieben? Wer?«
    »Nicht über mich persönlich, aber über das, was ich bin!«
    »Was bist du denn?«
    Stille im Auto. Ich starre vor mich hin. Nach etlichen Minuten knackt die Autotür der Mau, sie will wohl aussteigen, als ich fortsetze:
    »Mögen die Kinder, die RaRas, der Raphael und die Ramona, mich wirklich?«
    »Ja, bestimmt!«
    »Aber die haben es auch schon gemerkt, der Papa ist aber komisch, das haben die schon soooo oft gesagt. Wer weiß, wie oft die das sagen, wenn ich es gar nicht mitkriege!«
    »Na ja, dein Verhalten ist auch etwas merkwürdig. Aber früher, da war das doch noch viel schlimmer!«
    »Hast du schon mal das Wort Asperger gehört?«
    »Nein, was soll DAS denn sein?«
    »Da gab es einen Film, in dem ein Junge vorkam, der das haben sollte. Und dabei war der einfach nur genauso wie ich. Die Geschichte war ein Krimi, der mich eigentlich überhaupt nicht interessierte. Wenn ich euch jetzt umbringen würde, dann käme ich nicht mal ins Gefängnis, sondern in eine Psychiatrie! Es begann alles mit einer chemischen Versuchsapparatur.«
    »Wovon redest du da?«
    Stille. Ich kann nichts mehr sagen. Denn ich merke gerade mal wieder, dass ich es einfach nicht schaffe, das, was zu sagen ist, rüberzubringen. Die Mauer, diese unsichtbare Mauer verhindert es. Ich bringe nur stotternd heraus:
    »Das – das bin – ICH!«
    »Das musst du mir erklären!«
    »Das geht so einfach nicht, wenn du dieses Wort Asperger auch nicht kennst! Ich kannte das ja auch nicht.«
    »Dann lass uns endlich reingehen, okay?«
    »Nein, noch nicht!«
    Ich starre wieder auf die Autonummern in der Garage. Ich sehe die autovolle Autobahn bei Wendhausen, den klengschrankenden Bahnübergang am Bahnhof in Peine, wo die Autos rauf rein in die Stadt und runter raus aus der Stadt woppten, wo ich einmal vergebens auf die bonbonbeladenen Rosenmontagszüge wartete, das Schloss in Groß Ilsede, wo die Züge rangierten, die rosabraunen Rohre auf den Hausbaustellen, die ganzen Schilder und vor allem die Straßen, Straßen und Straßen der Welt. Herrlich juchzig!
    »Peter, was ist denn los?«
    »Nach allem, was ich da so gelesen habe, bin ich ein Autist!«
    »Wie kommst du denn da drauf?«
    Wie soll ich ihr das denn jetzt in aller Kürze erklären? Meine Stimme friert ein. Ich schweige. Es herrscht Stille. Stille in der Garage!
    Nach einigen Minuten gelingt es mir, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen.
    »Ich versuche, es dir drinnen weiter zu erklären, okay?«
    »Ja, lass uns endlich mal reingehen!«
    Drinnen lege ich der Mau die ganzen Zettel auf den Tisch, die ich ausgedruckt habe, direkt aus dem Internet, die meine Selbsterkenntnis belegen. Die ganzen Texte, die zeigen, dass ich offenbar eine angeborene, unheilbare, tiefgreifende Entwicklungsstörung habe, die Autismus genannt wird und sich in den drei
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